Christa Hein: DER GLASGARTEN

Reich an Geheimnissen

12. August 2015
So spannend wie tiefgründig: Christa Hein schickt in ihrem lange erwarteten neuen Roman „Der Glasgarten“ ihre Heldin auf eine Reise entlang der nordfranzösischen Küste und weit hinab in die eigene Familiengeschichte.

Ihre literarische Karriere begann mit einem Paukenschlag. Christa Hein war damals 42, hatte lange in den USA gelebt und neben ihrer Arbeit als Dozentin ihren ersten Roman „Der Blick durch den Spiegel“ verfasst. Entlanggeschrieben, „entlangerfunden“ hatte sie die Geschichte am Leben ihrer emanzipierten und höchst verwegenen Urgroßmutter. Kritiker und Leser waren begeistert. Die Taschenbuchrechte wurden damals, 1998, für die aufsehenerregende Summe von fast 400 000 Mark verkauft. Wenig später folgte der Roman „Scirocco“ und 2003 schließlich „Vom Rand der Welt“. In allen Romanen spielt die Suche nach den eigenen Wurzeln eine entscheidende Rolle, immer wieder ist jemand verschwiegenen Familiengeheimnissen auf der Spur, manchmal auch die Autorin selbst.

So unvermittelt, wie sie auf der literarischen Bühne aufgetaucht war, verschwand sie auch wieder. Zwölf Jahre lang hat Christa Hein keinen neuen Roman veröffentlicht. Bis jetzt. Mit ihrem mitreißenden Buch „Der Glasgarten“ meldet sie sich fulminant zurück. „Geschrieben habe ich aber die ganze Zeit über“, sagt Christa Hein und lacht entspannt. Nicht alles müsse schließlich veröffentlicht werden, nicht alles müsse immer sofort veröffentlicht werden. ­Einen Reichtum an Unpubliziertem zu haben, auch das sei wichtig für einen Autor.

Vielleicht darf sich der Verlag ja bald über ein weiteres Manuskript von ihr freuen. Aber das ist nur eine vorsichtige Vermutung. Schließlich weiß die Autorin, genau wie ihre Romane und die Familien in ihren Romanen, auch beim Erzählen Geheimnisse zu wahren, auf charmante Art bleibt sie beim Plaudern immer ein wenig mysteriös. Was ausgesprochen wird, ist ohnehin immer nur die halbe Wahrheit, eine Möglichkeit unter vielen. „Auch bei den Dingen, die erzählt werden, wird immer etwas verschwiegen“, sagt Christa Hein, und genau das treibe sie literarisch um.

Auch Julie, die Heldin ihres atmosphärisch dichten und hochspannenden jüngsten Romans „Der Glasgarten“, ist eine Getriebene, die sich der Wahrheitssuche verschrieben hat. Schon als Kind spürte sie es unbewusst: Ihre Mutter verbarg etwas vor ihr, etwas, das die kleine Familie zu bedrohen schien. Nach dem überraschenden Tod der Mutter erfährt Julie schließlich von Florence, ihrer französischen Halbschwester, und auf einmal wird ihr alles fremd, „selbst die Dinge, die ihr seit jeher vertraut sind“. Die eigenen Erinnerungen scheinen ihr plötzlich „ungültig geworden. Entwertet von einer Welt, die ihre Mutter ihr vorenthalten hat.“ Als die Anwälte Florence nicht finden können, macht sich Julie selbst auf die Suche. Sie sehnt sich nach ihrer „Phantomschwester“ und sie will jene geheimnisvolle Villa finden, die sie gemeinsam mit Florence geerbt hat und die einmal ihrer französischen Urgroßmutter gehörte.

REISE IN DIE VERGANGENHEIT
Ein wechselvoller Roadtrip entlang der nordfranzösischen Küste mit ihrer rauen, beunruhigenden Schönheit beginnt. Christa Heins zu allem entschlossene Heldin stürzt sich in die Suche wie in ein neues Leben. Den Freund lässt sie ohne Bedauern zurück, die Arbeit ist auf einmal längst nicht mehr so wichtig. Und nach und nach kommt sie Familiengeheimnissen auf die Spur, die weit in die Vergangenheit zurückreichen. Während sie auf ihrer Reise immer mehr über ihre Mutter und deren Wünsche und Hoffnungen als junge Frau erfährt, fühlt sie sich an ihre eigenen Hoffnungen und Pläne in diesem Alter erinnert. Eine vielversprechende Malerin war sie gewesen, bis sie den Mut verlor und von einem Tag zum anderen alle Brücken hinter sich abbrach.

„Wie die Tochter, so auch oft die Mutter oder die Großmutter“, sagt Christa Hein. Oft wiederholten sich bestimmte Muster nur leicht variiert innerhalb einer Familie. Enkelinnen lieben wie ihre Großmütter, und Töchter sind so treu, vorsichtig oder unerschrocken wie ihre Mütter. Sind es die Gene, die die Familien dazu zwingen, sich immer und immer wieder zu wiederholen? Die Autorin tippt auf das Erzählen. Erzählend und verschweigend wirken wir an diesen Mustern mit, reichen sie weiter von Generation zu Generation und längst nicht nur innerhalb der eigenen Familie.

Christa Hein ist eine hervorragende Muster-Erkennerin und eine hervorragende Erzählerin. Was sie im Roman verschweigt, verschweigt sie so kunstfertig, spannungsfördernd und intelligent, dass wir ihr gebannt dabei folgen.