Jodi Picoult: BIS ANS ENDE DER GESCHICHTE

Ein großes Anliegen

9. Oktober 2015
Freundschaft, Sühne und die Verbrechen der Vergangenheit: In ihrem einfühlsamen, zugleich fesselnden Roman „Bis ans Ende der Geschichte“ wagt sich Erfolgsautorin Jodi Picoult an das Thema Holocaust und stellt ihre Heldin vor eine schwere Entscheidung.

Jodi Picoult liebt es zu erzählen. Die US-amerikanische Autorin mit den wilden Locken und dem charakteristischen Grübchen hat in den vergangenen 23 Jahren 24 Bücher verfasst. In Deutschland haben viele Leserinnen und Leser gespannt auf ihren neuen Roman „Bis ans Ende der Geschichte“ gewartet, der sich in den USA bereits millionenfach verkauft hat. Nun ist er auch hier erschienen.

Picoult ist 48 Jahre alt. Und sie hat nicht nur 24 Bücher geschrieben, sondern währenddessen auch drei Kinder großgezogen. Ohne ihren Mann, der seinen Beruf an den Nagel gehängt hat, um sie bei ihrer Autorenlaufbahn zu unterstützen, hätte sie all das niemals geschafft, sagt sie in einem Interview. Mittlerweile sind ihre Kinder aus dem Haus. Leerer ist es dort dennoch nicht geworden: Picoult lebt mit ihrem Mann, vier Hunden, zwei Eseln und 15 Hühnern in ihrem Haus in New Hampshire. Zum Schreiben zieht Picoult sich dort gern ins Dachgeschoss zurück, um konzentriert arbeiten zu können. Genauso wichtig ist es ihr aber, dem aktuellen Thema ihres Buchs vor Ort auf den Grund zu gehen. So hat sie zum Beispiel auf einer Milchfarm der Amish mitgearbeitet, in einem Operationssaal bei einer Herzoperation zugeschaut und die Todeszelle eines Gefängnisses besucht.

In ihrem aktuellen Roman beweist Picoult ein weiteres Mal, dass sie eine hervorragende Geschichtenerzählerin ist, die auch vor ernsten Themen nicht zurückschreckt. Als Tochter jüdischer Eltern widmet sie sich nun dem Holocaust. „Bis ans Ende der Geschichte“ ist somit auch das persönlichste Buch, das die Autorin bisher geschrieben hat.

Im Mittelpunkt des Romans stehen die junge Bäckerin Sage Singer und ihre ungewöhnliche Freundschaft zu dem 90-jährigen Josef Weber. Sage hat ihre Mutter bei einem Autounfall verloren und wird von Schuldgefühlen gequält, denn sie selbst hat den Wagen gefahren. Um das Geschehene zu verarbeiten, schließt sie sich einer Selbsthilfegruppe an und lernt Josef Weber kennen. Ein Glücksfall, denn trotz des großen Altersunterschieds haben Sage und Josef einander viel zu geben, und es entwickelt sich eine tiefe, ungewöhnliche Freundschaft zwischen den beiden. Doch eines Tages vertraut Josef Sage ein ungeheures Geheimnis an und bittet sie um einen Gefallen. Sage steht vor einem Dilemma, das schwieriger kaum sein kann. Ihre Entscheidung kann auch rechtliche Konsequenzen für sie haben. Die Frage ist jetzt: Wo liegt die Grenze zwischen Hilfe und Vergehen, zwischen Strafe und Gerechtigkeit?

Picoult zeichnet ihre Figuren auch dieses Mal mit einer großen Sensibilität für Zwischentöne und Entwicklungsprozesse; die Komplexität menschlicher Beziehungen fängt sie gekonnt ein. Es war ihr ein großes, persönliches Anliegen, über den Holocaust zu schreiben. „Bis ans Ende der Geschichte“ ist ein Buch, mit dem sie aufklären will – und dabei streift sie auch Themen wie Sterbehilfe, Schuld, Freundschaft, Familie, Liebe. Am Ende steht die Leserin selbst vor der Frage: Wie würde ich entscheiden?

Immer neue Fragen zu stellen und sich beim Schreiben auf die Suche nach Antworten zu begeben – das zeichnet Picoult in all ihren Büchern aus. Bei Interviews zeigt sich, dass die temperamentvolle Frau genauso spricht, wie sie schreibt: sprudelnd, dennoch aufmerksam und sensibel. „Ich habe den besten Job der Welt“, sagt Picoult und strahlt dabei über das ganze Gesicht. Überhaupt lacht Picoult gern. Eine besondere Freude ist es ihr, mit ihren ­Büchern auf Lesereise zu gehen, oft bis zu drei Monate lang: „Ich liebe es, direkt von meinen Leserinnen und Lesern zu hören, was sie über meine Bücher zu sagen haben, und einander kennenzulernen.“ Anschließend kehrt sie nach Hause zurück, um sich an ihr nächstes Buch zu setzen. Die Ideen für neue Romane gehen ihr nie aus, erzählt sie. Woher weiß sie, welche Idee geeignet ist? „Ich merke es daran, dass mich ein Thema persönlich beschäftigt. Wenn ich Tag und Nacht darüber nachdenke, dann weiß ich, dass ich einen guten Stoff für ein neues Buch gefunden habe.“