Caitlin Moran: ALL ABOUT A GIRL

In Schwarz wie ein Postkutschenräuber

9. Oktober 2015
In Großbritannien ist die „Times“-Kolumnistin und Feministin längst ein Star. In ihrem Debütroman erzählt Caitlin Moran von den Verheißungen der Popkultur, von Armut und einem Mädchen, das sich rigoros selbst erfindet.

Caitlin Moran ist ganz schön laut und intensiv. Wenn sie etwas mit Nachdruck sagt – und das tut sie oft –, legt sie ihr Gesicht in eindringliche Falten, ihre schwarze Mähne wippt und ihre Augen leuchten herausfordernd. Bereits mit den Lesungsevents zu ihrem vor vier Jahren erschienenen humorvoll-feministischen Essayband „How to Be a Woman“ füllte sie Hallen. Die 40-jährige „Times“-­Kolumnistin weiß einfach, wie man unterhält, als Autorin genauso wie auf der Bühne. Vor ihrem Witz ist nichts sicher. Wittere sie irgend­wo ein Tabu, müsse sie ganz einfach darüber schreiben, es humorvoll ans Tageslicht zerren, so erklärt sie es selbst.

Mit „All About a Girl“ hat die Britin nun ihren ersten Roman geschrieben. Und er ist bei allem Witz erstaunlich leise. Es sind die 1990er in England. Ihre Heldin, Johanna Morrigan, ist 14 Jahre alt, dick und voller Selbstzweifel. Kein Mann wird sie je küssen, geschweige denn mit ihr schlafen wollen, das ist ihre größte Sorge. Die zweitgrößte, dass ihrer siebenköpfigen Familie die ­ohnehin knappe ­Sozialhilfe gekürzt werden könnte, weil Johanna versehentlich ­etwas aus­ge­plaudert hat.

Auf die Idee zum Buch kam Caitlin Moran, als ihre Tochter ins Teenageralter gelangte. „Mit lebhafter Übelkeit“ musste die Autorin plötzlich an ihre eigene Teenagerzeit denken, die sehr viel Ähnlichkeit hat mit der ihrer Hauptfigur Johanna. Auch Caitlin Moran wuchs in einer kinderreichen Familie auf, die von Sozialhilfe lebte. Als Teenagerin fühlte sie sich unförmig, hatte keine Freunde und schätzte die eigenen Zukunftsaussichten wenig rosig ein, wie sie freimütig zugibt.

Von derlei niederschmetternden Details wollte sie sich aber, genau wie ihre eigenwillige Heldin aus „All About a Girl“, keineswegs unterkriegen lassen. Die ist fest entschlossen, sich und ihre ganze Familie am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen. Dazu, so glaubt sie, muss sie jedoch eine andere werden, muss sich von Grund auf neu erfinden. Angefangen mit dem Outfit: „Ich trage nur noch Schwarz. Schwarz – wie die Bösen. Wie ein Postkutschenräuber. Boots, Strumpfhose, Shorts, Bluse: alles in Schwarz, darüber einen schwarzen Kellnerfrack. Dass er über dem Busen ein bisschen spannt? Egal. Ich bin Billy the Chick. Ich bin Madam Ant. Ich werde Postkutschen auf dem Weg nach London abfangen und mir von den Passagieren ein neues Leben zusammenrauben.“ Auch ein anderer Name muss her. Von nun an will sie ­Dolly Wilde heißen, wie die wilde, zügellose Nichte Oscar Wildes.

Auf dem Weg zur Musikkritikerin
Ganz zuletzt kommt die Profession dran, mit der sie das fehlende Geld für die Familie verdienen will: Kurz entschlossen entscheidet sie sich, Musikkritikerin zu werden. Was diese blasierten „Dandys mit Spitzenmanschetten“ können, deren Kritiken sie immer in der Zeitung liest, das kann sie auch. Das nötige Wissen trainiert sie sich beim Lesen von einschlägigen Musikmagazinen in der Stadtbücherei an und hört Nacht für Nacht Musiksendungen im Radio. Mit 16 hat sie tatsächlich Erfolg: Sie darf Kritiken für ein wichtiges Londoner Musikmagazin schreiben.

Auch Caitlin Moran, die als Tochter von Hippie-Eltern mit elf Jahren die Schule verließ und sich anschließend in der Stadtbücherei lesend selbst ausbildete, hatte sich im Alter von Johanna bereits erstaunliche journalistische Meriten verdient. Mit 17 schrieb sie bereits für den „Observer“ und den „Guardian“, mit 18 hatte sie ihre erste Kolumne in der „Times“. Und ganz wie Johanna zog auch Caitlin Moran von zu Hause aus, noch bevor sie volljährig wurde.

Die vielen Männer und ihre sexuellen Eigenheiten, von denen die ­Autorin in Johannas wilder Londoner Musikkritiker-Zeit erzählt, seien Moran allerdings nicht selbst begegnet, wie sie augenzwinkernd anmerkt, sondern vielmehr zusammengesetzt aus den Erzählungen von Freundinnen. Wie überhaupt das ganze Buch sich zwar aus ihrer eigenen Geschichte speist, aber längst nicht ihrer eigenen Geschichte entspricht. Die Humoristin und leidenschaftliche Autorin Caitlin Moran weiß schließlich, was ein gutes Buch braucht, also hat sie es nicht einfach von der Wirklichkeit abgeschrieben, sondern einen wunderbaren ­Coming-of-Age-Roman daraus gemacht. Voller lebendiger Dialoge, sensibler Beobachtungen und mit diesen großartigen Überspitzungen, mit denen Caitlin Moran der Wahrheit sehr viel näher kommt als das Leben selbst.