Jonathan Franzen: UNSCHULD

Jeder hat Geheimnisse

12. Oktober 2015
Jonathan Franzens neuer Roman ist eine monumentale Saga von Liebe, Täuschung, Schuld und Hoffnung. Dabei spannt der Autor den Bogen von Kalifornien bis in die ehemalige DDR. 

Kurze Romane sind Jonathan Franzens Sache nicht: Sein Buch „Unschuld“ ist mit mehr als 800 Seiten ein gewaltiges Gesellschaftspanorama mit zahlreichen Hauptfiguren. Da ist der Whistleblower Andreas Wolf, ein DDR-Dissident, der in den bolivianischen Bergen sein Internet-Enthüllungsprojekt leitet. Da ist die Studentin Pip, die auf der Suche nach ihrem Vater in Wolfs Kommune landet. Da ist zudem der investigative Journalist Tom, der mehr über Wolf weiß, als diesem lieb ist. Und da ist Pips ­Mutter Anabel, die ihr Milliardenerbe ausschlägt und lieber in Armut lebt.

Alle diese Figuren sind miteinander verbunden, alle haben ihre Geheimnisse. Anhand ihrer Schicksale seziert ­Franzen Privates, Politisches und Gesellschaftliches. Es geht um die mitunter zerstörerische Kraft des Internets, um DDR-Traumata und um eine nie gesühnte Schuld. Wieder einmal erweist sich Franzen als raffinierter Erzähler, der nicht umsonst als einer der bedeutendsten US-Autoren gilt.

Dabei hatte er für seinen ersten Erfolgsroman „Die Korrekturen“ gar keine großen Erwartungen. Noch heute lebt er eher bescheiden in Santa Cruz nahe einem ­Naturschutzgebiet, in dem der Hobby-Ornithologe ausgiebig ­Vögel beobachten kann. Wenn er nicht gerade schreibt. Denn der ­nächste 800-Seiten-Roman ist nur eine Frage der Zeit.