Tilmann Lahme: DIE MANNS

Zauberhafte Sippe

12. Oktober 2015
Eine großbürgerliche Familie in ihrem Jahrhundert – Tilmann Lahmes Geschichte der Manns beschreibt Glanz und Unglück von Deutschlands originellster und interessantester Künstlerdynastie und zeichnet ein turbulentes, facettenreiches Bild der Epoche.

Eine „amazing family“ nannte der britische „Guardian“ die Manns 1939 – eine „erstaunliche Familie“. Der Begriff ging umgehend in ihren Familienwortschatz ein. Denn natürlich war ihnen bewusst, „dass es in Deutschland in diesem Jahrhundert keine bedeutendere, originellere und interessantere Familie gegeben hat als die Manns“, wie es Marcel Reich-Ranicki später formulierte.

Erstaunlich ist freilich auch, dass trotz der Fülle von Sekundärliteratur über die Manns bislang eine Darstellung fehlte, die ihre äußerlich so glanzvolle, doch innerlich höchst konfliktreiche Geschichte in allen ihren oft tragischen Facetten ausleuchtete. Um diese Lücke zu schließen, hat der Germanist Tilmann Lahme die gesamte, in großen Teilen noch unbekannte Familienkorrespondenz der Manns und dazu Tagebücher und Notizen ausgewertet. Aus acht Blickwinkeln heraus gelingt ihm so das Porträt einer ­Familie, die in Zeiten des „Dritten Reichs“ und im Exil zu den prominentesten Repräsentanten deutscher Kultur wurde.

Übermächtiger Schatten
Natürlich steht Vater Thomas auch hier im Mittelpunkt. Er ist der Großschriftsteller, der Literaturnobelpreisträger – ein Star und Publikumsmagnet selbst im amerikanischen Exil. Doch solcher Glanz machte es den Kindern umso schwerer, sich gegen ihn zu behaupten: „Er siegt, wo er hinkommt“, kommentiert sein ältester Sohn Klaus dort 1938 eine erfolgreiche Tournee des Vaters, der ihm als Schriftsteller wieder einmal die Show stiehlt: „Neid und eine sinnlose Gekränktheit überwiegen.“

Seine Schwester Erika scheint besser damit fertigzuwerden, dass sie bei allem persönlichen Charisma auf Vortragsreisen stets als „Tochter“ begrüßt wird. Doch auch sie stürzt sich in ­leidenschaftliche Affären, um ganz sie selbst sein zu können. Der ein paar Jahre jüngere Golo versucht, sich dem Bannkreis der Familie zu entziehen. Michael ist ein begabter Musiker, doch er neigt zu Jähzorn und wie seine älteren Geschwister zu Drogen­exzessen. Elisabeth wird wegen chronischen Liebeskummers zum Psychia­ter Erich Katzenstein geschickt, der bereits ihre Brüder behandelt. Und über die für Mann’sche Verhältnisse erstaunlich un­ambitionierte Monika lästert nicht nur die scharfzüngige Mutter Katia.

Aus dieser multiperspektivischen Binnensicht heraus schafft Tilmann Lahme ein Familienporträt, das der geläufigen Vor­stellung von der privilegierten großbürgerlichen Künstlerdynastie eine Vielzahl neuer Facetten hinzufügt – und eine fesselnde ­Lektüre bietet. Aus Staunen wird beim Lesen ein tieferes Verständnis für diese „amazing family“, die man so bislang nicht kennen­lernen konnte.