Kass Morgan: DIE 100

Allein auf dem blauen Planeten?

11. November 2015
Ihre Vorfahren haben sich vor einer Nuklearkatastrophe ins All gerettet. Nun soll eine Gruppe Jugendlicher herausfinden, ob die Erde wieder bewohnbar ist: Die furiose Science-Fiction-Trilogie „Die 100“.

Clarke wurde verurteilt, weil ihre Eltern ein Verbrechen begangen haben. Glass, weil sie mit ihrem Freund Luke eine Grenze überschritten hat. Wells hat vor aller Augen den Edenbaum angezündet. Und Bellamy hat in einem Akt der Verzweiflung den Kanzler als Geisel genommen und ihn schwer verwundet. Alle vier sind in den Augen der Weltraum-Kolonie Verbrecher. Und Verbrecher werden hingerichtet, wenn sie das 18. Lebensjahr vollendet haben. Begnadigung höchst ­unwahrscheinlich. Oder kommt es schon einer Begnadigung gleich, nicht mit der Giftspritze umgebracht, sondern stattdessen auf eine wahrscheinlich tödliche Mission zur Erde geschickt zu werden?

Die 31-jährige Amerikanerin Kass Morgan hat ein gutes Gespür für Spannung. Schon der Auftakt zu ihrer Science-Fiction-Trilogie „Die 100“ ist furios. 300 Jahre nach der Stunde null, in der die Erde durch eine Atomkatastrophe völlig verwüstet und verstrahlt wurde, landet ein Raumtransporter auf dem Blauen Planeten. Seine Ladung: 100 Jugendliche, die sich alle kleinerer oder größerer Verbrechen schuldig gemacht haben. Ausgerüstet mit Armbändern, die ihre Vitalfunktionen messen, sollen sie für die im All Zurückgebliebenen herausfinden, ob die Erde in­zwischen ­wieder bewohnbar ist. Denn auf den miteinander ver­bundenen Raumschiffen Phoenix, Arcadia und Walden, in denen die Nachfahren der Menschen leben, die damals vor der ­Nuklearkatastrophe gerade noch ins All flüchten konnten, geht langsam der Sauerstoff aus. 

Das Zukunftsszenario, das Kass Morgan da mit großer Überzeugungskraft entwirft, ist nicht gerade anheimelnd. Ganz so düster aber nun auch wieder nicht, findet die Autorin. Dazu sei ihre Trilogie bei allen geschilderten Schrecken und Widrigkeiten dann doch zu optimistisch, mehr Science-Fiction als Dystopie. Genau dafür liebe sie Science-Fiction-Literatur, dass sie nicht nur Katastrophen zeige, sondern sich auch Lösungen für die zukünftigen Probleme der Menschheit ausdenke. 

In „Die 100“ könnten die Jugendlichen selbst ein Teil der Lösung sein. Ihre Vorfahren mögen einen Nuklearkrieg angezettelt und später im All ein Gesellschaftssystem installiert haben, das von der Willkür der Mächtigen geprägt war, ständige Kontrollen und harte Strafen waren an der Tagesordnung. Aber warum soll es den Jugendlichen nicht trotzdem gelingen, auf der Erde neu anzufangen und es besser zu machen als ihre Eltern und Großeltern?

Wie schwer das ist, müssen die Neuankömmlinge allerdings bald feststellen. Als Clarke, Wells, Bellamy und die Übrigen aus dem Raumtransporter treten, das erste Mal frische Luft atmen, die berauschende Überfülle von Pflanzen sehen, erscheint ihnen die Erde paradiesisch. Noch denken sie nicht daran, dass sie diesem ­Paradies bald Nahrung und Kleidung werden abtrotzen müssen und dass aus der bunt zusammengewürfelten Truppe junger Menschen nicht wie von selbst eine Gemeinschaft werden wird. Der Kampf um Macht, Einfluss und die wenigen mitgeschickten ­Essensrationen und Medikamente beginnt beinahe sofort. Und auch die ersten ­Toten gibt es bereits.

Ein mitreißender Plot, gleich mehrere anrührende Liebesgeschichten und schnelle, spannungsfördernde Szenenwechsel – kein Wunder, dass „Die 100“ in den USA bereits mit großem Staraufgebot verfilmt wurde. Pünktlich zum Erscheinen von „Tag 21“, Band zwei der Trilogie, strahlt ProSieben jetzt die zweite Staffel der TV-Serie aus. 

Während die Serie besonders von der actionreichen Handlung lebt, hat Kass Morgan ihren Figuren auch ein reiches Innenleben mitgegeben. In immer neuen Rückblenden erfahren die Leser, wie Clarke, Wells, Bellamy und die im All zurückgebliebene Glass zu den Menschen wurden, die sie zu Beginn der Geschichte sind. Alle tragen sie an einem dunklen Geheimnis, von dem gerade diejenigen, die sie am meisten lieben, nichts erfahren dürfen.

Es ist eine große Kunst, eine Zukunft zu entwerfen, die glaubwürdig wirkt, bei aller Exotik realistisch und lebensnah. Kass Morgan glaubt man die Szenen auf der Erde genauso wie die im All. Auch deshalb fiebert man so sehr mit ihren charmanten Helden mit, wünscht ihnen Glück, Mut und Entschlossenheit bei ihrem Kampf ums Überleben und in der Liebe.