Robert Harris: DICTATOR

Kampf dem Tyrannen

19. November 2015
Robert Harris verdichtet Vergangenheit zu spannender Geschichte. „Dictator“ ist der dritte Band seiner Romantrilogie über Cicero, in dem jedoch Caesar die titelgebende Rolle spielt.

Er war ein brillanter Redner, ein herausragender Schriftsteller und einflussreicher Staatsmann – Cicero ist eine der faszinierendsten Persönlichkeiten der Geschichte, deren außergewöhnliches Leben Bestsellerautor Robert Harris zu einer Romantrilogie inspiriert hat. Nach „Imperium“ und „Titan“ ist nun mit „Dictator“ der dritte Teil erschienen.

Der letzte Band, der auch problemlos ohne Kenntnis seiner Vorgänger gelesen werden kann, erzählt von dramatischen Zeiten: vom Untergang der römischen Republik und vom folgenden Bürgerkrieg, als Pompeius gegen seinen früheren Verbündeten Julius Caesar kämpft und ­verliert. Der britische Starautor erzählt von politischen Strategien ebenso wie von Alltags- und Kriegsmomenten, und abermals beweist Harris als politischer Schriftsteller Klasse: Ihm gelingt es, aus dem historischen Stoff einen süchtig machenden Thriller zu formen.

Eine zentrale Rolle im neuen Band spielen Caesars Kriegszüge in den nörd­­lichen Provinzen, seine Siege gegen Gal­lier und Helvetier. Für den stets pointiert argumentierenden Harris ist klar, um was es sich handelte: Es waren Massaker, Kriegsverbrechen. Er entzaubert den Imperator – in Opposition zu dem Historiker Theodor Mommsen, der Caesar im 19. Jahrhundert als Superhelden gezeichnet und damit lange den Geschichtsunterricht bestimmt hat. Harris erkennt im römischen Herrscher zwar das militärische Genie, aber auch den Psychopathen, der für seine Ziele über ­Tausende Leichen geht. Er zeichnet ihn als egozentrischen, machtgierigen, grausamen Diktator, der in Rom die politische Macht an sich reißt. Im Mittelpunkt steht aber weiter Cicero: Nachdem er für seine Rolle bei der Aufdeckung der Verschwörung Catilinas geehrt wurde, wird er jetzt für vogelfrei erklärt und flüchtet aus Rom ins Exil. Dies ist die Ausgangssituation von „Dictator“.

Fakten und Fiktion
Robert Harris fühlt und denkt sich in seinen Protagonisten ein, bewegt sich also im Reich des Fiktiven. Er bleibt dabei aber sehr genau bei dem, was heute noch über Cicero und das erste vorchristliche Jahrhundert bekannt ist. Harris hat intensiv recherchiert und erzählt mit viel Sympathie und Respekt vom bewegten öffentlichen Leben Ciceros und von seinen philosophischen Schriften, denen er sich im letzten Lebensabschnitt widmete.
Eine wichtige Quelle über ihn ist allerdings verloren gegangen: die Biografie, die sein Sekretär und Sklave Tiro über ihn verfasste. Diese verlorene Biografie hat Harris jetzt gleichsam rekonstruiert. Er erzählt von Cicero aus der Sicht Tiros, aus der Sicht des Mannes, dem er vertraute wie wohl niemandem sonst, dem er aber erst spät die Freiheit schenkte.

Ähnlich wie dieser sieht sich auch Harris wohl in der Rolle des Beobachters, der Abstand zum aktuellen Geschehen hält. Politische Ambitionen hege er keine, sagt Harris. Zurück­gezogen lebt der 58-Jährige mit seiner Familie in Berkshire in einem alten, von einem idyllischen Garten umgebenen Pfarrhaus: abseits vom Trubel Londons, aber doch nur eine Zugstunde vom politischen Betrieb entfernt, an dem der Vater von vier Kindern sehr interessiert ist. Harris hat als Journalist für die BBC gearbeitet, zudem für die Zeitungen „The Observer“, „Daily Telegraph“ und „Sunday Times“, hat sich aber auch als Schriftsteller weiterhin der Politik verschrieben.

Etwa in „Ghost“ (2007), jenem Thriller, den er zwischen dem ersten und zweiten Band der Cicero-Trilogie schrieb: Dieses Buch, das Roman Polanski verfilmte, setzt sich mit dem früheren Premier Tony Blair auseinander. In dem Roman „Angst“ aus dem Jahr 2011 wiederum nimmt Robert Harris die Finanzkrise ins Visier. Und auch „Dictator“ ist eine Reflexion der politischen Gegenwart: etwa wenn der Bestsellerautor erzählt, wie Cicero Kompromisse eingeht, die ihm zuwider sind, von denen er aber hofft, dass er sich mit ihrer Hilfe im politischen Geschäft halten kann.

Wie lange bleibt man Prinzipien treu, wann sind Kompromisse sinnvoll? Ist ein Tyrannenmord wie der an Caesar legitim? Und darf man Freiheit zur Rettung von Freiheit einschränken? Diese Fragen, die so aktuell sind wie nie, das gelungene Ineinander von gestern und heute ebenso wie Robert Harris’ Lust am Erzählen machen „Dictator“, den dritten Band der Romantrilogie über Cicero, nicht allein zu einem packenden, sondern auch zu einem ungemein aktuellen Lesevergnügen.