Eleanor Catton: DIE GESTIRNE

Im siebten Himmel

19. November 2015
Es ist der perfekte Schmöker für lange Winterabende: Eleanor Cattons preisgekröntes Buch „Die Gestirne“ ist ein fabelhafter Abenteuerroman zu Zeiten des Goldrauschs in Neuseeland.

Die Schrecknisse seiner Reise durch den sturmumtosten Südpazifik stehen Walter Moody noch ins Gesicht geschrieben, als er Ende Januar 1866 das Hafenstädtchen Hokitika erreicht. Der junge schottische Anwalt, der an der wilden Westküste Neuseelands als Goldsucher sein Glück versuchen will, möchte im Rauchzimmer des Crown Hotels eigentlich nur ein Glas Brandy genießen, etwas plaudern und zur Ruhe kommen, doch er platzt mitten hinein in eine seltsame Versammlung von zwölf Männern.

Zunächst muss Moody Rede und Antwort stehen – und wird schließlich von den Anwesenden ins Vertrauen gezogen. Einer nach dem anderen berichtet über mysteriöse Vorgänge und dubiose Typen, über kriminelle Machenschaften und ungelöste Verbrechen, die nahe­legen, dass eine groß angelegte Verschwörung im Gange ist.

Sternzeichen und Planetenstellungen
So unrettbar, wie Moody vom Strudel der Ereignisse mitgerissen wird, so verfängt sich der Leser des Romans „Die Gestirne“, der von den Geschehnissen in der Goldrausch-Stadt erzählt, in Eleanor ­Cattons virtuosem Erzählgespinst. Dabei ist die verzweigte, rätselhafte Geschichte, die die Autorin über mehr als 1 000 Seiten ausbreitet, nur die eine Seite des labyrinthischen Beziehungsgeflechts. Der ­Roman folgt einer astrologischen Struktur: Jedes der zwölf ­Kapitel ist jeweils um die Hälfte kürzer als das vorherige, und die Charaktere wie auch die Handlungen der Figuren sind von Sternzeichen und Planetenstellungen geleitet und beeinflusst.

„Ich habe jedes Tierkreiszeichen bewusst ausgesucht und habe mir trotzdem alle nötigen Freiheiten gelassen“, sagt ­Catton im Interview. Und während die Handlung fortschreitet, ändern auch die Planeten vor dem sich drehenden Himmelszelt ihre Positionen, „und diese Bewegung bringt eine neue Weltordnung und eine neue Sicht auf das Ganze mit sich“, heißt es im Roman. Klingt kompliziert, macht die Lektüre jedoch in keinem Moment schwierig oder gar schwer verdaulich. Im Gegenteil: Die neuseeländische Autorin hat ein formal und sprachlich zwar anspruchsvolles, aber höchst lebendiges und vergnügliches Buch geschrieben, das man staunend und mit gespannter Erwartung verschlingt: der ideale Schmöker für Winterabende.

Ihre erzählerische Kunst überzeugte auch die Jury des Man-Booker-Preises: 2013 wurde die damals 28-Jährige für „The Luminaries“, so der Originaltitel, mit dem wichtigsten britischen Lite­ratur­preis ausgezeichnet. „Es ist ein überwältigendes Werk. Es ist ein leuchtendes Werk, gewaltig, ohne ausufernd zu werden“, lobte die Jury. 

Eleanor Catton ist nicht nur die jüngste Gewinnerin in der 45-jährigen Booker-Preis-Geschichte, ihr Roman ist auch der umfangreichste. Als sie mit 25 Jahren mit der Arbeit begann, hatte sie sich als Autorin schon einen Namen gemacht: Vier Jahre zuvor veröffentlichte sie ihr Debüt „The Rehearsal“ (deutsch: „Die Anatomie des Erwachens“), einen Coming-of-Age-Roman über die Affäre einer 17-Jährigen mit ihrem Musiklehrer.

Geboren wurde Eleanor Catton in Kanada – ihr neuseeländischer Vater studierte und promovierte zu jener Zeit an der Universität von London, Ontario. Eleanor war sechs Jahre alt, als die Familie zurück nach Neuseeland ging. Später studierte sie Englisch und Kreatives Schreiben, das Fach, das sie heute selbst am Manukau Institute of Technology in Auckland unterrichtet.

Wildes Leseabenteuer
Zwei Jahre lang arbeitete Eleanor Catton an ihrem preisgekrönten Roman, verschlang Bücher über die Goldgräberzeit, über Astrologie, Psychologie und die neuseeländische Geschichte. Den Ureinwohnern ihrer Heimat setzte sie in „Die Gestirne“ mit dem Maori und Jadesucher Te Rau Tauwhare ein Denkmal. Der andere geborene Neuseeländer im Roman ist der Bankier Charlie Frost. „Als Widder und Stier versinnbildlichen sie Objektives und Subjektives“, meint Catton. „Ich stelle mir gern die Geschichte Neuseelands als Mischung aus beiden vor: stolz wie Tauwhare und gleichzeitig gehemmt wie Frost.“

„Die Gestirne“ ist ein überschäumendes Leseabenteuer, so wild wie die Zeit des Goldrauschs, die dem Roman ihren Rahmen gibt. Vorangetrieben wird die Handlung immer wieder von unerwarteten Fügungen und Zufällen. „Mein Plot enthält viele Zufälle, und manche sind alberner als andere. Aber können Sie sich einen Roman ohne Zufälle vorstellen?“, fragt die Autorin verschmitzt.

Mit der Verleihung des Booker-Preises hat sie sich schon in jungen Jahren einen Platz im Schriftsteller-Olymp gesichert. Im wahren Leben bleibt Eleanor Catton jedoch bodenständig: Vom Preisgeld in Höhe von 50 000 Pfund kaufte sie sich ein Haus.