Verena Reinhardt: DER HUMMELREITER FRIEDRICH LÖWENMAUL

Gemeinsam sind sie unschlagbar

8. März 2016
Ein Hummelreiter wider Willen, eine unerhörte Intrige und der Beginn einer großen Freundschaft: Verena Reinhardts genialer Romanerstling ist mehr als nur ein gelungenes fantastisches Abenteuer.

Noch ahnt Friedrich Löwenmaul nicht, dass er an diesem Abend in ein gewaltiges Abenteuer reiten wird. Zu Beginn dieses herrlich unkonventionellen Romans steht er, bereits im Nachthemd, auf seinem Balkon und sieht leicht beunruhigt einer kräftigen Hummel dabei zu, wie sie ihren Rüssel in seine Blumen taucht. Obwohl er aus einer berühmten Familie von Hummelreitern stammt – „von seinem Großvater väterlicherseits standen noch dreiundzwanzig Turnierpokale im Schrank“ – ist er kein großer Fan der pelzigen Insekten und hat nie gelernt, sie zu reiten. Wenn ihn seine Verwandten nach seinen Zukunftsplänen fragen, antwortete er zu deren Entsetzen gern: „So weit weg wie möglich von Hummeln.“

Auf seine großen Vorbehalte gegen Hummeln hat seine Schöpferin, die junge Autorin Verena Reinhardt, allerdings dreist und vorsätzlich keinerlei Rücksicht genommen. In ihrem fantasievollen, vor originellen Einfällen nur so funkelnden Erstlingsroman schickt sie ihren ­Helden in ein ausgesprochen hummeliges Abenteuer. Und das beginnt mit einer Entführung. Der Entführer mit dem klangvollen ­Namen Hieronymus Brumsel ist Chef des Geheimdienstes des fernen Landes Südwärts und ebenjene Hummel, die sich an besagtem Abend nicht ohne Hintergedanken an Friedrichs Balkonblumen labt. Ein kleiner Ausritt könne schließlich nicht schaden, so überredet sie Friedrich – der heimlich doch gern ein Hummelreiter und ­Hummelzähmer wäre – schließlich aufzusteigen. Und schon geht es in rasantem Flug übers Endmeer in ein Land, von dessen Existenz ­Friedrich bisher nichts ­geahnt hat. Ein Land, in dem neben kleinen Menschen vor allem ­sprechende Insekten die Städte bewohnen, Magie zum täglichen Leben gehört und das sanfte Rausch- und Schlafmittel Valmü ganze Seen füllt.

Der übermütige Roman mit seinen skurril-liebenswerten Figuren und seiner Volten schlagenden Handlung hat dabei längst nicht nur das Potenzial, Kinder für sich einzunehmen. Auch erwachsenen Lesern und Vorlesern hat er einiges zu bieten. Die studierte Anglistin und Biologin Verena Reinhardt hat es sich nicht nehmen lassen, immer wieder augenzwinkernd literarische wie auch zeitgeschichtliche Verweise einzubauen und ihren Figuren bei aller Schnoddrigkeit auch einen Hang zum Pathos und zum theatralischen Hadern mitzugeben – was in amüsantem Kontrast steht zu den alltäglichen ­Tücken des ­Insektenlebens. Wer hätte zum ­Beispiel gedacht, dass eine Raupe die Verpuppung als Selbstverlust und emotionalen Spießrutenlauf erleben würde? Oder dass eine Hummel, wie mutig und abgebrüht sie auch sein mag, ohne Daumen bisweilen ganz schön gehandicapt ist?

Auch die Dialoge, die Kabbeleien zwischen Hieronymus Brumsel und Friedrich, sind höchst vergnüglich. Beide sind anfangs nicht allzu begeistert davon, dass sie im Auftrag der jungen, herrischen Königin von Südwärts als Zweierteam im als kriegslustig geltenden Nordwärts spionieren sollen. Brumsel ist fest davon überzeugt, dass er allein viel erfolgreicher wäre und Friedrichs guter Name die Königin geblendet hat: „Du bist eigentlich völlig unqualifiziert, aber (…) du bist ein ­Löwenmaul. Du hast den richtigen Stammbaum.“ Friedrich dagegen kann sich gar nicht genug empören über seine Entführung und will so schnell wie möglich zurück nach Hause.

Allerdings kommt es schon bald, wie es kommen musste: Die beiden werden ein erfolgreiches Team – und Freunde. Friedrich leiht Brumsel bei Bedarf seinen Daumen und hat überhaupt viele gute Ideen, während Brumsel mit Weltgewandtheit und Draufgängertum punktet. Bei ihrer Spionageaktion gegen das als „wild und unzivilisiert“ verschriene Nordwärts kommen sie einer groß angelegten Verschwörung auf die Spur und wissen schon bald nicht mehr, wer die Wahrheit sagt und wer hier eigentlich wen betrügt.

Mehr wird hier nicht verraten, nur dass am Ende in einem großen Showdown das Schlimmste gerade noch verhindert wird. Zu verdanken ist das nicht zuletzt Friedrich und Brumsel, die allerdings reichlich Unterstützung haben. Im Verlauf des Romans hat sich ihr Team er­heblich erweitert: um eine Maulwurfsgrille, ein altes Mütterchen mit schartigem Schwert, eine Mottenmeisterin, einen gerade geschlüpften Falter, eine Fledermaus, mehrere Eulen mit prächtigen Gesangsstimmen und eine ganze Menge weiterer „nun ja, Leute“.