Anne Freytag: MEIN BESTER LETZER SOMMER

Die schönsten letzten Wochen

11. März 2016
Die 17-jährige Tessa ist todkrank und verzweifelt – bis sie ihre große Liebe Oskar trifft. Auf einer Reise nach Italien will sie mit ihm das Leben noch einmal ganz auskosten. Ein bittersüßer, heiter-melancholischer Roman

Ich dachte, sterben ist einfach. Ich dachte, es geht schnell. Wie geboren werden, nur rückwärts. Aber die Wahrheit ist, ich hatte keine Ahnung.“ Tessa, die Ich-Erzählerin des bewegenden Romans „Mein bester letzter Sommer“ ist gerade einmal 17 Jahre alt, und 18 wird sie nicht werden. Die Ärzte haben einen unheil­baren Herzfehler bei ihr diagnostiziert. Nach drei schweren Operationen steht fest: Tessa wird sterben. Vielleicht hat sie noch eine Woche zu leben, vielleicht noch vier oder acht. Was sie daran besonders quält: Sie wird sterben, ohne je richtig gelebt zu haben. Ihr Leben lang ist sie vorsichtig gewesen, brav, perfektionistisch. Das wirft sie sich jetzt vor. Dass sie noch nie verliebt war, noch nie Sex hatte, ist dabei ihr größter Kummer: „Ich werde als 17-jährige Jungfrau sterben. Als Musterschülerin ohne Führerschein.“

Es ist ein schwieriges Thema, an das sich die Münchner Autorin Anne Freytag da gewagt hat, und noch dazu eines, das mit vielen Tabus belegt ist. Wer vom Tod erzählen will, sollte das zum Beispiel, so die verbreitete Meinung, möglichst humorfrei tun. In ihrem anrührenden, intensiven Roman zeigt Anne Freytag, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Ihrer Heldin hat sie eine gehörige Portion Witz mitgegeben und weiß dabei genau, was sie tut. Anfangs ist es ein tiefschwarzer Humor: „die meisten Konserven­dosen in unserer Speisekammer werden länger hier sein als ich“. Das ändert sich aber, als Tessa Oskar trifft.

Es ist für beide Liebe auf den ersten Blick. Allerdings dauert es, bis Tessa glauben kann, dass Oskar wirklich an ihr interessiert ist, dass er sie schön findet, begehrenswert, trotz ihrer Magerkeit und der langen Narbe, die sie von den Operationen zurückbehalten hat. Es braucht einige nächtliche Facebook-Chats und viel Überredungskunst vonseiten Oskars. Dann aber setzt Tessa alles auf eine Karte. Sie will ihre letzten Tage nicht trostlos, brütend in ihrem Zimmer verbringen, sondern noch etwas von dem erleben, was sie bisher verpasst hat. Sie will mit Oskar nach Italien fahren, auch wenn sie ihre Eltern damit fassungslos macht. Sie will Hand in Hand mit Oskar durch die Gassen kleiner italienischer Dörfer laufen, sie will das Forum Romanum sehen und Eis essen gehen in Florenz. Und vor allem will sie Oskar küssen, so oft und so lange wie nur möglich.

Nach den dunklen Monaten, in denen sie vor Verzweiflung kaum noch ihr Zimmer verlassen hat, fühlt sie sich mit einem Mal wie befreit. Sie weiß jetzt, sie wird nicht sterben, ohne geliebt zu haben und geliebt worden zu sein. Ihre Angst beginnt sich zu verflüchtigen, und auf einmal gelingt ihr, wozu sie ­bisher nicht fähig war: Sie lebt im Augenblick, fühlt sich so schwerelos und glücklich wie noch nie in ihrem Leben.  

Wer diesen Roman liest, wird bestimmt nicht nur ein Mal feuchte Augen bekommen. Ein Mädchen, noch dazu ein so sympathisches, sanftes, kluges wie Tessa, in den letzten Tagen und Wochen ihres Lebens zu begleiten ist mehr als herzzerreißend. Aber bei aller Melancholie, die das Buch grundiert, ist es auch eine Geschichte, die das Leben feiert und dazu aufruft, die schönen Momente mit aller Kraft zu genießen, statt sich in Grübeleien und Zukunftssorgen zu verlieren. Für Autorin Anne Freytag ist der Roman deshalb auch keine Geschichte über das Sterben, sondern vor allem, das ist ihr wichtig, „eine Liebesgeschichte; eine, die leider nicht gut endet, doch es ist und bleibt eine Liebesgeschichte. Und was gibt es Lebensbejahenderes als die Liebe?“
Oder um mit Tessa zu sprechen: „Ja, kann sein, dass das Leben macht, was es will, aber vielleicht weiß es, was es tut. Vielleicht sollte ich endlich ein­sehen, dass ich nichts in der Hand habe außer dem Moment.“