Mario Giordano: TANTE POLDI UND DIE FRÜCHTE DES HERRN

Aus dem Leben gegriffen

14. Juni 2016
Der Schriftsteller und Drehbuch­autor Mario Giordano hat seine Tante Poldi zur Hauptfigur einer amüsanten, hintersinnigen Krimireihe gemacht, die in Sizilien spielt. Gerade ist der zweite Band erschienen.

Etwas auch nur ansatzweise Autobiografisches zu schreiben, konnte sich Mario Giordano lange nicht vorstellen. „Nie privat, immer persönlich“, das war über viele Jahre seine eiserne Regel gewesen. Bis Tante Poldi kam – beziehungsweise bis seine Frau ihn eines Abends auf Tante Poldi brachte. „Und plötzlich war alles klar“, sagt Giordano, während er rauchend auf seiner lauschigen, kleinen Dachterrasse steht und konzentriert in den Kölner Himmel schaut.

Seit bestimmt 15 Jahren hatte ihn schon die Idee zu einem Sizilienroman umgetrieben; ein opulenter, düster-vielschichtiger, üppig-unwiderstehlicher Familienroman sollte es werden. Immerhin hat Giordano sizilianische Wurzeln und sein Herz schlägt für die Region. Über Notizen war er aber nie hinausgekommen. Immer war die Erzählperspektive das Problem gewesen. Und auf einmal war da nun als Kristallisationskern und Hauptfigur seine legendäre Tante Poldi, die mit 60 Jahren von München nach Torre Archirafi gezogen war, um sich dort – so der Verdacht der Familie – mit Blick auf Meer und Ätna stilvoll zu Tode zu saufen. Alles Weitere ergab sich dann beinahe wie von selbst.

Aus dem Fami­lienroman wurde ein Krimi und der Erzähler der Geschichte, da war Mario Giordano sich gleich sicher, konnte kein anderer als Poldis Neffe sein, ein deutsch-sizilianischer Schriftsteller, der mit seinem großen Familien- und Sizilienroman einfach nicht vorankommt. Im Auftrag seiner drei sizilianischen Tanten soll er jeden Monat für eine Woche „die Poldi“ in ihrem Haus in der Via Baronessa besuchen, ihre Alkoholvorräte entsorgen und überhaupt ein Auge auf sie haben.

Weil aber die Poldi – „eine glamouröse, barocke Erscheinung“ mit hochtoupierter schwarzer Perücke, Nofretete-Make-up und reichlich Dekolleté – trotz ihres Hangs zum Trinken und gelegentlicher Schwermutanfälle immer noch „lodert vor Lebenslust“, ist schon bald nicht mehr klar, wer hier eigentlich wem hilft und wer wen im Auge behält. Schließlich kann der schüchterne, in jeder Hinsicht etwas ungelenke Neffe von seiner Tante eine ganze Menge lernen, über das Leben, die Liebe und das Erzählen, findet die Poldi. Und zu erzählen hat sie tatsächlich einiges. Nicht nur rüstet sie ihren Neffen mit allerhand Lebensweisheiten aus wie: „Ein kleines Bäuchlein steht jedem Mann. (…) In der Kunst und der Erotik ist alles nur eine Frage der Proportion“ oder ihrer ganz entschiedenen Devise „Dezenz ist Schwäche“.

Wo die Poldi auftaucht, ist immer etwas los. Was nicht zuletzt daran liegt, dass sie sich, um die Zeit bis zum nächsten Drink zu überbrücken, mit Vorliebe in kriminalistische Ermittlungen stürzt. Im ersten Band hätte sie das fast das Leben gekostet und auch im zweiten Band setzt sie sich wieder unerschrocken – und unterstützt vom örtlichen Padre und einer befreundeten Ladenbesitzerin – auf die Spur der Bösewichte. Damit will sie ganz nebenbei auch noch Commissario Montana übertrumpfen, mit dem sie weit mehr als bloß ein stürmisches Konkurrenzverhältnis verbindet oder, um es mit Poldis Worten auszudrücken: „Ich sag’s ja, der Kriminalkommissar ist die höchste Erscheinungsform des Menschen, auch sexuell.“

Melancholie und Lebenslust
Als Leser erliegt man Poldis Charme schon nach wenigen Seiten. Vielleicht auch deshalb, weil sie eben nicht nur heiter ist, nicht nur schlagfertig, strotzend vor urbayrischer Lebenslust. Sie hat auch eine dunkle Seite, ihren Hang zur Melancholie, der Hand in Hand geht mit dem innigen Wunsch, sich schnell und gründlich besinnungslos zu trinken. Und das muss auch so sein, ist Mario Giordano überzeugt: „Wenn sie nur ein Sonnenschein wäre, ach Gott, wie langweilig.“

Schließlich erzählen sich die hellen Seiten besonders gut über die dunklen, die Komödie über den Krimi, das paradiesische Sizilien über das nervtötende, die forsche, selbstbewusste Poldi über ihren unsicheren, linkischen Neffen. Das Glück, wird die Poldi nicht müde zu betonen, hat eine duale, eine „binäre Struktur“, wie eigentlich alles im Leben – auch das Erzählen.