Sarah Lark: UNTER FERNEN HIMMELN

Authentisch und augenzwinkernd

14. Juni 2016
Eine deutsche Journalistin ist einem düsteren Familiengeheimnis auf der Spur: Der packende neue Roman von Sarah Lark spielt wieder in Neuseeland.

Frau Lark, nach drei Neuseelandsagas haben Sie nun das Land am anderen Ende der Welt noch einmal als Schauplatz für Ihren neuen Roman gewählt. Warum?
Zum einen können meine Leserinnen und Leser nicht genug von Neuseeland bekommen. Vor allem für viele Deutsche ist es das Sehnsuchtsland schlechthin. Zum anderen hat der Inselstaat eine so interessante historische Vergangenheit, dass ich immer wieder neue spannende Facetten entdecken kann.

Sie bringen im Buch unter anderem ein dunkles Kapitel der Geschichte Neuseelands zur Sprache: die Spannungen zwischen der britischen Kolonialregierung und den einheimischen Maori ...
... die insgesamt aber verhältnismäßig friedlich abliefen, im Vergleich zu anderen Kolonialkriegen. Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass die Maori-Kultur so anpassungsfähig und praxisorientiert ist.

Ihre Hauptfigur, die Journalistin  Stephanie, fragt sich nach einer Rückführung bei einem Hypnosetherapeuten, ob sie in einem früheren Leben tatsächlich die Tochter eines Maori-Häuptlings war. Womit können Sie mehr anfangen: mit der Spiritualität der Maori oder unserer westlichen Esoterik?
Ich bemühe mich sehr, die Religion und Traditionen der Maori zu verstehen, etwa ihre speziellen Vorstellungen von Gegenwart und Zukunft. Ich möchte keine Klischees verbreiten, sondern ihre Kultur so authentisch wie möglich darstellen. Dagegen bin ich absolut keine Freundin unserer Esoterik – und beschreibe die Hypnosesitzung, der sich Stephanie unterzieht, ja auch mit einem kleinen Augenzwinkern.

Interview: Alice Werner

Was ist damals, in ihrer frühen Kindheit, geschehen? Unter Hypnose macht die Journalistin eine folgenreiche Entdeckung. Sie reist nach Neuseeland, um mehr über ein im 19. Jahrhundert entführtes Maori-Mädchen zu erfahren, und muss sich dabei auch dem ­Dunkel ihrer Vergangenheit stellen.

Leseprobe aus Sarah Larks Roman "Unter fernen Himmeln":

Stephanie stand auf und begann, im Zimmer umherzuwandern. „Konfrontiert?“, fragte sie verärgert. „Womit? Täusche ich mich, oder klingt das nach Psychodrama? Hör zu, Rick, ich befinde mich nicht in einer Lebenskrise. Ich reise da nicht hin, weil ich mich in dieser Marama wiederfinden und damit den Sinn meines Lebens ergründen möchte, sondern einzig und allein, weil Söder das so will. Es ist eine Recherchereise wie jede andere, und ich schaffe das ganz gut allein.“
„Das ist eben keine Reise wie jede andere!“, beharrte Rick. „Du kannst es drehen und wenden, wie du willst, es ist vor allem eine Reise in deine Vergangenheit. Du könntest mit Erinnerungen konfrontiert werden … Nicht mit denen aus früheren Leben, das halte ich nach wie vor für Quatsch, aber mit ganz konkreten aus deiner Kindheit. Niemand verliert einfach so das Gedächtnis, Steph! Jedenfalls nicht auf Dauer, nicht einmal, wenn man auf den Kopf gefallen ist, was bei dir ja gar nicht zutreffen soll. Angeblich wurdest du bei diesem ominösen Unfall überhaupt nicht verletzt …“
„Vielleicht hatte ich ja doch eine Gehirnerschütterung oder so“, mutmaßte Stephanie ausweichend.
„Auch dann wäre das Gedächtnis inzwischen zurückgekehrt. Ich habe mich erkundigt, Stephanie, ich habe mit Ärzten darüber gesprochen und im Internet über Amnesie recherchiert. Man kann einen Filmriss haben, Steph. Es wäre normal, wenn du dich an den Unfall nicht erinnern könntest. Aber sechs verlorene Jahre sind zu viel. Das ist keine Amnesie, Steph, das hast du verdrängt. Irgendetwas muss damals vorgefallen sein, du musst irgendein traumatisches Erlebnis gehabt haben …“
„Und dann hab ich ‚zugemacht‘“ , höhnte Stephanie. „Danke für die Bestätigung der Diagnose von Rupert Helbrich. Vielleicht gab es gar keinen Unfall, sondern ein Massaker in einem Maori-pa. Vielleicht wurde ich von Eingeborenen entführt und mein Vater kam bei dem Versuch ums Leben, mich zu befreien? Und nun erinnere ich mich an all das wieder und breche in Tränen aus, wenn ich über ein paar Pfeilspitzen stolpere. Hör auf, Rick. Das alles ist doch Unsinn!“
„Und deine Fixierung auf Verbrechen?“, schleuderte Rick ihr entgegen. „Deine Bindungsangst? Diese ganze vorgebliche Ungezwungenheit, die du wie eine Fahne vor dir herträgst, um ja keine Gefühle zeigen zu müssen?“ Rick klang nun seinerseits wütend, doch auch verbittert.
Stephanie holte tief Luft. Sie hatte sich eigentlich nicht streiten wollen. Eher hatte sie gehofft, all die Differenzen, die es in der letzten Zeit zwischen ihr und Rick gegeben hatte, würden sich in dieser Nacht in Luft auflösen lassen. Aber jetzt warfen sie einander wieder Vorwürfe an den Kopf. Stephanie dachte kurz darüber nach, ob und wie sie einlenken könnte – überlegte es sich dann jedoch anders. Rick musste akzeptieren, dass sie kein Kindermädchen brauchte!
„Nur weil man einen Heiratsantrag ablehnt, ist man noch nicht psychisch krank“, erklärte sie kühl. „Ich brauche einfach mehr Zeit, Rick. Ich bin noch nicht so weit. Und meine angebliche Fixierung auf Verbrechen … Geht’s noch ein bisschen melodramatischer? Ich bin Gerichtsreporterin, Rick. Das ist mein Job. Ich könnte genauso gut über Mode schreiben …“
„Und warum machst du’s nicht?“, provozierte Rick.
Stephanie blitzte ihn wütend an und verzichtete auf eine Antwort. Die Wahrheit hätte ihren Freund schließlich nur in seinen Spekulationen bestätigt. Sie fand Mode, Politik und Gesellschaftsjournalismus langweilig. Verbrechen dagegen faszinierten sie. Hätte sie kein Talent zum Schreiben gehabt, hätte sie sich auch eine Laufbahn bei der Polizei vorstellen können. Tatsächlich brannte sie darauf, diesen geheimnisvollen Morden in Neuseeland und anderswo nachzugehen. Während Marama oder Marian ihr ziemlich gleichgültig war. So interessant und verblüffend die Ergebnisse der Sitzung mit Helbrich gewesen waren: Stephanie glaubte nicht an Reinkarnation. Ob es Marama nun gegeben hatte oder nicht. (…)
„Was wirst du denn deiner Mutter erzählen?“, fragte Rick nach einer Weile des Schweigens, immer noch recht feindselig. „Es wäre interessant zu erfahren, was sie von dieser Reise hält.“
Stephanie zuckte mit den Schultern. „Ich gedenke nicht, sie um Erlaubnis zu fragen“, sagte sie hochmütig. „Das ginge auch gar nicht. Sie ist mal wieder am Amazonas, auf einer Forschungsexpedition zu irgendwelchen Indianerdörfern. Da gibt’s sicher kein Netz, weder Telefon noch Internet …“
„Was dir in diesem Fall sehr gelegen kommt!“, stichelte Rick. „Ich wette mit dir: Helma gerät in Panik, wenn sie hört, dass du – obendrein ganz allein – zurück nach Neuseeland willst. Das ist nämlich auch so eine mysteriöse Geschichte rund um diesen vermeintlichen Unfall: Deine Mutter war Expertin für die Maori-Kultur, sie hätte in Neuseeland auf Jahre hinaus zu tun gehabt. Dennoch hat sie damals ganz plötzlich alles aufgegeben, ist fluchtartig mit dir zurück nach Deutschland gereist und forscht jetzt auf einem Gebiet so weit weg von Polynesien wie nur eben möglich …“
Stephanie biss sich auf die Lippen. Nun berührte Rick wirklich einen wunden Punkt. Auch sie fragte sich, was ihre Mutter zu diesem jähen und sehr radikalen Schnitt im Bereich ihrer Forschungsschwerpunkte bewogen hatte. Wirklich glücklich, das wusste sie, war Helma nicht am Amazonas. Das Klima dort bekam ihr nicht, sie war nach jeder ihrer Reisen wochenlang krank.
„Ich schicke ihr eine Mail“, sagte Stephanie schließlich, um Gelassenheit bemüht. „Aber auch sie wird einsehen müssen, dass ich erwachsen bin. Was auch immer mich in Neuseeland erwarten sollte: Ich schaffe das allein." ...