Nicci French: BÖSER SAMSTAG

Mörderisches London

22. November 2016
Frieda Klein kann es nicht lassen: Auch im sechsten Band der Thrillerreihe, "Böser Samstag", gräbt die Psychologin tief. Das britische Erfolgsduo Nicci French konfrontiert sie mit einer Gefangenen, die als Monster gilt. 

Hannah Docherty ist ein Wrack. Weggesperrt im Chelsworth Hospital, erleidet sie dort seit 13 Jahren Elektroschocks, Isolation, Schläge und andere Pein. Vollgepumpt mit Medikamenten, gehasst von allen, scheint sie nicht in einer psychiatrischen Klinik, sondern in der Hölle gelandet zu sein. 

Doch wer sollte schon Mitleid mit der jungen Frau mit den vielen Tätowierungen haben, die keinerlei Selbstbeherrschung zeigt und die eine der am meisten gehassten Personen im Land war? Denn Hannah Docherty soll ihre Mutter, ihren Stiefvater und ihren kleinen Bruder ermordet haben, als sie 18 Jahre alt war. Ein wahrlich „Böser Samstag“. Schnell war damals nach den Leichenfunden alles klar für die ganz großen Schlagzeilen und ein eindeutiges Urteil: Da hat eine Bestie ihre Familie ausgelöscht. 

Bröckelnde Grenzen

Dennoch soll sich Frieda Klein den Fall noch einmal ansehen. Der freiberufliche Berater Walter Levin, dem sie einen Gefallen schuldet, beauftragt die Psychologin zu prüfen, ob die Ermittler seinerzeit sauber gearbeitet haben. 

Frieda Klein weigert sich zunächst. Eigentlich will sie nach den Verbrechen, die sie selbst in höchste Lebensgefahr gebracht haben, ihr stilles Leben genießen. Sie will als Therapeutin arbeiten, abends in ihrem Häuschen am Kamin sitzen, im Dachstübchen zeichnen, eine Partie Schach mit sich selbst spielen und nachts durch abgelegene Gegenden Londons spazieren. Sie will ihre Ruhe.

Aber Levin kriegt sie rum. Frieda Klein besucht Hannah Docherty und ist entsetzt über deren Zustand. Schnell dominieren die Fragen nach den Umständen des Dreifachmordes ihr Dasein. Ihre Nichte Chloë und die wenigen anderen Menschen, die Frieda Klein überhaupt an sich heranlässt, können sie nicht verstehen. Sie wollte doch endlich die Finger davon lassen, Polizistin zu spielen. Und damit nicht genug, fühlt sie sich auch von ihrem alten Feind Dean Reeve, einem Mörder und Kindesentführer, verfolgt. Kurzum: Ihre Grenzen bröckeln.

Die Therapeutin hat auch selbst eine Therapeutin. Thelma Scott rät Frieda Klein ebenfalls, nicht in dem alten Fall zu wühlen. Zudem warnt sie sie vor einem Helfersyndrom.

Das Autoren-Ehepaar Nicci Gerrard und Sean French, international erfolgreich unter dem Pseudonym Nicci French, nennt diese Grenze typisch für Psychoanalytiker und Menschen in sozialen Berufen. „Es muss ein Limit geben, was sie für andere tun können“, befinden die Briten. „Sie können nicht alle retten.“ Das sei auch Frieda Kleins Drama: „Sie entdeckt zwar die furchtbaren Folgen für sich selbst, wenn sie sich zu sehr um Leute kümmert, also ist ihre empathische Gabe ebenso ein Fluch. Aber auch bei Hannah Docherty erlauben es ihr die Umstände und ihr Gerechtigkeitssinn nicht, einfach wegzuschauen.“

Mit einer Stimme erzählen

Nicci Gerrard und Sean French leben und arbeiten zusammen, aber schreiben getrennt. In mehreren Durchläufen spielen sie sich im Pingpongprinzip die Romanteile zu und überarbeiten sie, bis am Ende ein Werk aus einem Guss entstanden ist. Und so beantworten sie auch Interviewfragen nicht getrennt, sondern als Einheit, als Nicci French. Im Fall der Thriller um Frieda Klein, „der Detektivin, die keine Detektivin sein will“, sei das ohnehin von Vorteil: „Es gibt eine Erzählerin, die mit einer Stimme spricht.“