Anne Freytag: DEN MUND VOLL UNGESAGTER DINGE

Aufruhr der Gefühle

22. März 2017
Zwei junge Frauen auf der Schwelle zum Glück: Mit „Den Mund voll ungesagter Dinge“ hat Anne Freytag eine berührende Coming-out-Geschichte geschrieben. Romantisch und aufregend, kompliziert und federleicht zugleich.  

Wie ist das, wenn das Leben, das man 17 Jahre lang kannte, plötzlich vorbei ist? Sophie sitzt ­neben ihrem Vater auf dem Beifahrersitz und versucht, nicht daran zu denken. Nicht an die Fahrt von Hamburg nach München, nicht an den „Neuanfang“, den ihr Vater so dringend braucht, nicht an ihre Stiefmutter Lena und die beiden Stiefbrüder. Dass es in der neuen Stadt, im neuen Haus, in der neuen Familie dann gar nicht so schlimm ist wie gedacht, mag Sophie weder ihrem Vater noch sich selbst zunächst eingestehen: „Wahrscheinlich denkt er, dass ich mich langsam einlebe, während ich in Wirklichkeit vor seinen Augen vereinsame.“ 

Zum Glück ist da noch die neue Nachbarin. Alex ist gleich alt und geht auf dieselbe Schule: wilder Pferdeschwanz, schwarze Hornbrille, Hotpants, breites Grinsen. „Sie ... erinnert mich an ein aufgeregtes Tier in einem überdimensionalen Terrarium. Und ich bin wie ein faszinierter Forscher, der eine neue Spezies entdeckt.“ Die neue, unbekannte Spezies heißt „beste Freundin“: „Ich kenne Alex noch nicht besonders lange, aber jeden Tag, den ich sie kenne, mag ich sie noch ein bisschen mehr.“ So sehr, dass Sophie sich bald fragt, ob ihre Gefühle noch „normal“ sind. Doch was ist schon normal, wenn man 17 ist? Wenn man der Kindheit entschlüpft, in der Erwachsenenwelt aber noch nicht angekommen ist? Wenn man sich fühlt „wie eine Getriebene, die versucht, sich selbst zu entkommen“? Dem turbulenten Ausnahme­zustand, der plötzlich ihr ­Leben ist, ­begegnet Sophie mit größtmöglicher Selbstironie: „wieder eine halbe Stunde geheult. Meine neue Lieblingsbeschäftigung.“