Sabine Bode: DAS MÄDCHEN IM STROM

Unbeugsamer Lebensmut

5. April 2017
Bestsellerautorin Sabine Bode erzählt in ihrem ersten Roman die mitreißende Lebensgeschichte der Jüdin Gudrun Samuel auf der Flucht vor dem Nazi-Terror und von Selbstachtung als Überlebensstrategie.  

"Liebe Margot, bei mir geht wieder alles drunter und drüber. Nein, keine Angst, ich bin nicht wieder hopp hopp hopp auf und davon. Ich habe mich verliebt! Seine Ohren sind ziemlich groß, genauso wie sein Herz. Er bringt mich zum Lachen …" Als Gudrun diese Zeilen an ihre Freundin Margot in die USA schreibt, liegen aufreibende Jahre der Flucht um die halbe Welt hinter ihr, ein Leben in ständiger Bedrohung, zwei Not-Ehen, der Verlust ihrer Familie und ihrer großen Liebe. Sich selbst hat sie darüber nie aufgegeben, so wenig wie ihre unerschütterliche Lebenslust und den unbeugsamen Willen, sich zu behaupten. Wie einst schon als Jugendliche in Mainz, die ungeniert im Strandbad rauchte, sich wenig um Gerede scherte und tollkühn Kohleschleppern hinterherschwamm, ist Gudrun auch in schlimmsten Krisenzeiten die schillernde Persönlichkeit geblieben, die mutig und eigenwillig ihren Weg geht. 

Die Kölner Autorin und Journalistin Sabine Bode, bekannt durch ihre aufsehenerregenden Sachbücher über die Traumata und seelischen Spätfolgen des Krieges, die sich von den Kriegskindern über die Nachkriegskinder bis zu Kriegsenkeln übertragen, nimmt ihre Leserinnen und Leser mit auf die Flucht der Gudrun Samuel. Involviert sie hautnah in ihr Leben und ihre Seelenzustände. Sie lernen das unbeschwerte, draufgängerische Kind einer wohlhabenden Schuhhaus-Dynastie in Mainz kennen. Begehren mit der Jugendlichen auf, als ihre große Liebe zu Martin zur „Rassenschande“ wird. Bangen mit ihr bei Gestapo-Verhören und im Gefängnis. Begleiten sie auf ihrer Flucht durch Russland bis ins Juden-Ghetto von Shanghai. Durchleben mit ihr Armut und ständige Bedrohung und lassen sich mitreißen von dem unerschütter­lichen Willen, nicht aufzugeben und selbst in der Ohnmacht völligen Ausgeliefertseins die Selbstachtung zu wahren.  

„Das Mädchen im Strom“: Sabine Bode hat mit der Lebensgeschichte der Gudrun Samuel ihren ersten Roman vorgelegt. Und doch stecken darin so viel wahre Zeitgeschichte, reale Schauplätze und Begebenheiten, dass er authentisch den Leidensweg einer Generation Verfolgter auf der Flucht vor Krieg, Nazi-Terror und Genozid spiegelt. Auch hinter Gudrun steht eine wahre Person: „Über weite Strecken habe ich die Überlebensgeschichte von Gertrude Meyer-Jörgensen aus Mainz nacherzählt.“ 

Vor 17 Jahren hat Sabine Bode sieben Tage lang mit der Über­lebenden des Nazi-Terrors gesprochen, die 2011 im Alter von 93 Jahren in Wiesbaden starb, und das Rohmanuskript des Romans ­niedergeschrieben. Die endgültige Version hat sie voriges Jahr verfasst. Bewusst als Roman, „weil sich Zeitgeschehen und Schick­sale tiefer einprägen“, sagt Bode. „Beim Lesen eines Romans verbinden und verbünden wir uns auf Zeit mit der Hauptperson. Wir zittern mit ihr, wir verlieben uns mit ihr, oder wir fühlen uns ­gedemütigt, denken über Rache nach. Und womöglich bringt es ­Saiten in uns in Schwingung, die wir lange oder vielleicht noch nie wahrgenommen haben.“

Die Stationen von Gertrude Meyer-Jörgensens Flucht sind auch die der Romanheldin Gudrun. Für ihre Geschichte hat Sabine Bode dazu aus Gesprächen und Begegnungen mit zahllosen Holocaust-Überlebenden geschöpft, die sie bereits als junge Journalistin und über viele Jahre bei ihren Recherchen in aller Welt gesammelt hat. „Davon habe ich kaum etwas veröffentlicht, aber die Gespräche sind alle in mir gespeichert.“

Im Roman hält Gudrun über all die Jahre Briefkontakt zu ihrer Jugendfreundin Margot, die dank gefälschter Papiere noch rechtzeitig mit ihrer Familie in die USA emigrieren konnte. Die Briefe erzählen die Fluchtgeschichte Margots mit, vermitteln die Albträume und Depressionen der Freundinnen und ihre unterschiedlichen Versuche, das Erlebte zu bewältigen und eine Haltung dazu zu finden. 

Es ist auch das Lebensthema des „Nachkriegskindes“ Sabine Bode, seit sie als Jugendliche in den 1960er Jahren erkannte, dass das, was sie im Elternhaus über die NS-Zeit hörte, ebenso wie die weit verbreitete Meinung „Wer von den Juden wollte, ist ja immer noch aus Deutschland rausgekommen“ nicht mit den Fakten übereinstimmte. Damals, sagt sie, habe sie vor vielen Erwach­se­nen den Respekt verloren. Sie hat sich aufgemacht, Zeitzeugen über das Erlebte zu befragen und darüber, wie sie damit fertigwerden – mit Traumata und mit Verbrechen.  

Für Sabine Bode ist „Memory Work“ Friedens- und Zukunftsarbeit – und brandaktuell, da Millionen Menschen vor Krieg fliehen, faschistoide Hetze und die „alten Lügen“ über die NS-Zeit wieder hoffähig werden: „Mein Roman macht deutlich, wie viele Schutzengel nötig waren, damit eine junge Jüdin – im Unterschied zu ihren Eltern – überlebte. Die besten Nachrichten in heutiger Zeit sind für mich solche über den unvermindert großen Einsatz von Menschen, die Flüchtlinge in Deutschland schützen und unterstützen.