Karl Ove Knausgård: KÄMPFEN

Der Wahrheitssucher

8. Juni 2017
Radikal dem Ich auf der Spur: Mit „Kämpfen“ ist nun der letzte Band von Karl Ove Knausgårds gefeiertem autobiografischen Romanzyklus erschienen. 

Vor zehn Jahren traf der norwegische Autor Karl Ove Knausgård eine radikale Entscheidung: Er wollte einen wahren, einen ganz und gar der Wirklichkeit verpflichteten Roman schreiben. Und so begann er von seinem Leben zu erzählen, wie es zum damaligen Zeitpunkt war, wie es in seiner Kindheit und Jugend gewesen ist. Nichts sollte beschönigt werden. Selbst die beschämendsten Nieder­lagen und unwürdigsten Details sollten vorkommen. Womit der scheue Knausgård allerdings nicht gerechnet hatte, war der ungeheure Erfolg seines mittlerweile auf sechs Bände angewachsenen Romanzyklus. In seinem Heimatland Norwegen besitzt rein rechnerisch bereits jeder zehnte Einwohner mindestens eines seiner Bücher. Im englischen Sprachraum feiern ihn Star-Autoren wie Zadie Smith und Jeffrey Eugenides, und auch in Deutschland sind sich die Kritiker weitgehend einig: Die Romane sind von einer solchen Wucht und Authentizitätswut, dass es in der Gegenwartsliteratur kaum Vergleichbares gibt. 

Mitreißende Erschütterungen

Dabei erzählt Knausgård in seinem Mammutwerk nicht etwa von ausgefallenen, aufsehenerregenden Ereignissen, sondern von den ganz normalen Katastrophen, die sich im Leben eines komplexbeladenen,  melancholischen Südnorwegers seit seiner Kindheit abgespielt haben. Die Leser erfahren, wie der knapp 30-jährige Knausgård damit konfrontiert wird, dass sich sein tyrannischer Vater erst in einen Zustand völliger Verwahrlosung und schließlich zu Tode getrunken hat. Sie begleiten den 19-Jährigen während seines Jahrs an der Schriftstellerakademie in Bergen, als sein Ehrgeiz weit größer ist als sein Können und sich das Mädchen, für das er schwärmt, für seinen älteren, lässigeren Bruder entscheidet. Sie reisen mit ihm zu einem Autorentreffen, auf dem er sich in die schwedische Dichterin Linda Boström verliebt, mit der er Jahre später eine Familie gründen wird. Aber vorerst weist sie ihn ab, und aus Verzweiflung zerschneidet sich der damals 32-Jährige im Alkoholrausch das Gesicht. Alles, was ihm widerfährt, beschreibt Knausgård „roh, direkt, ohne sprachliche Schnörkel“ – so hat er sich das verordnet, alles andere käme ihm verlogen vor. Was er sich aber nicht verbietet, ist Emphase. Und daher vermitteln sich beim Lesen die Knausgård’schen Erschütterungen im Großen wie im Kleinen, im Schönen wie im Schrecklichen mitreißend und beinahe ungefiltert: die Scham über seine Schüchternheit oder ein missglücktes Gespräch genauso wie die Verzauberung, als Linda ihn schließlich doch noch erhört und er beim ersten Kuss in Ohnmacht fällt.