Lea-Lina Oppermann: WAS WIR DACHTEN, WAS WIR TATEN

Hautnah an ihren Figuren

29. August 2017
Eine maskierte Person, eine Schulklasse in Angst und Schrecken und zehn fürchterliche Forderungen: Lea-Lina Oppermanns Debüt ist ein grandioses psychologisches Kammerspiel mit Thrillerfaktor. 

Es war nur ein Fehlalarm, kein wirklicher Amoklauf. Aber die 19-jährige Debütautorin Lea-Lina Oppermann weiß noch genau, wie es sich anfühlte, machtlos im Klassenzimmer zu sitzen und nicht zu wissen, was als Nächstes passiert. Ihre damaligen Erfahrungen, Beobachtungen und Assoziationen inspirierten sie zu ihrem preisgekrönten Jugendroman: So hautnah dran ist sie an ihren Figuren, deren Ängsten und Motiven, dass man sich beim Lesen selbst in jenem Klassenzimmer glaubt, in das ein bewaffneter Unbekannter eindringt und die Tür hinter sich verschließt. Wer ist er? Was will er? Das lässt die zarte Berlinerin lange Zeit in der Schwebe. 

Stattdessen schlüpft sie ihren Protagonisten in die Köpfe: Mathelehrer Filler, Schulverweigerer Mark und die introvertierte Musterschülerin – alle drei lässt Oppermann abwechselnd aus unterschiedlichen Perspektiven von jenen traumatischen Ereignissen erzählen, die sie hier zum Kammerspiel verdichtet. Dass sie selbst jahrelang beim Jungen Theater Bonn auf der Bühne stand, Filme macht und sehr gern Schach spielt – all das merkt man Figurenführung und Spannungsaufbau an. 

Zehn verschlossene Umschläge mit „Wunschzetteln“ gibt sie ihrem maskierten Unbekannten mit. Sie werden das Unterste zuoberst kehren: Weil sie keine andere Wahl haben, müssen Klassenclowns und Supermänner, Diven und Mitläufer unter vorgehaltener Pistole peinigende, verstörende Aufgaben erfüllen. Aufgaben, die ihre größten Ängste und ­Geheimnisse entlarven. Wird die Graue-Maus-Freundin der Klassenprinzessin tatsächlich die geliebte Haarmähne abschneiden? Wer lacht, wenn die beiden dicken Mitschüler sich bis auf die Unterhose aus­ziehen und die Kleider tauschen? Wie reagiert Herr Filler, wenn sein Laptop mit der Doktorarbeit in Trümmern auf dem Boden liegt? Ein hochspannendes Laborexperiment, bei dem es zu dramatischen ­Szenen mit Blut und vielen Tränen kommt. Illusio­nen werden zerstört, Dämme eingerissen und ­Tabus gebrochen. Dabei macht Nachwuchstalent Lea-Lina ­Oppermann das Klassenzimmer zur Bühne und Arena. Wie sie ihren Knoten schürzt, alles zum ­Eskalieren bringt und dabei doch nie ihren ­klaren, analytischen Blick verliert, ist als Leseerlebnis eindrucksvoll und bietet jede Menge Stoff zum Nachdenken und Diskutieren.