Michaela Kastel: SO DUNKEL DER WALD

Zerbrochene Seelen

28. Februar 2018
Er ist stets auf der Jagd. Nach Wild – und nach jungen Opfern. Seit mehr als drei Jahrzehnten entführt er Kinder in Oberösterreich. Auch Ronja und Jannik hat „Paps“ einst geholt. Fliehen sie endlich? 

In tiefer Wildnis steht ein Haus hinter den Bäumen. „So dunkel der Wald“ hier ist, so finster ist auch das Leben der fünf Heranwachsenden in ihm. Denn hier herrscht „Paps“. Er ist keineswegs ihr Vater, sondern er hat sie verschleppt: die jungen Erwachsenen Ronja, Jannik und Nika ebenso wie die „Kleinen“, den zehnjährigen Theo und die siebenjährige Henna. „Paps“ hat über lange Jahre hinweg noch viele andere Kinder in seine Gewalt gebracht, braucht er sie doch „biegsam und zerbrechlich“.

Wer von den „Neuen“ nicht spurt, wer sich gegen den permanenten Missbrauch wehrt, den wirft der Perverse in ein Bergloch – das Sonnentor. Er bringt sie auch um und verscharrt die ermordeten Kinder an der Höllenkanzel. „Der Boden dort ist vollgesogen von Blut“, beschreibt Ronja das Grauen. Sie, der das „Monster“ ihre Unschuld wie ihre Kindheit ­geraubt hat, ist inzwischen 20 und führt den ­Horror-Haushalt. In ihm beginnt die tägliche Hölle in der Hölle für die Kleinen am Abend, wenn „Paps“ mit ihnen nach oben geht. Ronja empfindet das ­Dasein im „gigantischen, menschenleeren“ Käfig Wald, in dem sich das mörderische Kammerspiel ereignet, als leer: „Wir haben keine Vergangenheit und keine Zukunft, bloß eine Gegenwart, die in Trümmern liegt.“ Obwohl sie an den Kleinen hängt und obwohl sie Jannik liebt, wagt sie endlich einen Fluchtversuch.

Doch auch „Paps“ wird gejagt: Sarah Wiesinger, Ermittlerin beim Kriminaldezernat Linz, ist von den verschwundenen Kindern besessen. Auch ein persönliches Trauma treibt sie an: Sie hat ihr Baby, eine Tochter, verloren. Eine rote Mütze, die von der verschwundenen Lola zu stammen scheint, motiviert sie neu bei der Suche. 

Das Leiden „da draußen“, fernab der Welt, ist kaum zu ertragen. Die enorm begabte Autorin ­Michaela Kastel schildert die Perspektive der Opfer so einfühlsam, dass es kein Entrinnen zu geben scheint. „Menschen gewöhnen sich an die merkwürdigsten Dinge“, heißt es dazu lapidar im Tagebuch des Täters. Ein Thriller der zerbrochenen ­Seelen mit teuflischem Sog.