David M. Barnett: MISS GLADYS UND IHR ASTRONAUT

Eine unglaubliche Freundschaft

13. Juni 2018
Der lebensmüde Astronaut Thomas Major ist auf dem Weg zum Mars. Eigentlich will er nur seine Ruhe. Doch dann bekommt er versehentlich die 70-jährige Gladys ans Telefon. 

Ein One-Way-Ticket zum Mars wäre wahrlich nicht jedermanns Sache. Thomas Major, der unwiderstehliche Held aus David M. Barnetts amüsantem Roman „Miss Gladys und ihr Astronaut“, ist allerdings auch weit davon entfernt, wie jedermann zu sein. Vielmehr ist er an Griesgrämigkeit und Menschenfeindlichkeit kaum zu übertreffen – zumindest zu Beginn der Geschichte. Die Raumfahrtbehörde hat deshalb auch ihre liebe Not mit ihm. Weder beantwortet er mit der gebotenen Höflichkeit die Presseanfragen, die ihn in seiner kleinen Raum­kapsel im All erreichen, noch ist er bereit, dringend notwendige Reparaturarbeiten am Raumschiff vorzunehmen. Thomas hat abgeschlossen mit den Menschen – glaubt er zumindest. Er will nur noch die unvergleichliche Stille im All genießen und hin und wieder ein besonders kniffliges Kreuzworträtsel lösen.

Als er mit seinem Iridium-Telefon eines Tages allerdings versehentlich die 70-jährige Gladys erreicht, wird er mitten hineingerissen in deren Familienprobleme, und ohne dass er recht weiß, wie ihm geschieht, zerbricht er sich auf einmal mit ihr und ihren beiden Enkeln den Kopf darüber, wie sich die Familienfinanzen sanieren lassen oder der Vater der Kinder aus dem Gefängnis geholt werden kann. Und weil es dann ohnehin schon nicht mehr darauf ankommt, lässt er sich schließlich sogar dazu überreden, der Pressefrau der Raumfahrtbehörde einige seiner bestgehüteten Geheimnisse zu erzählen.

Mit „Miss Gladys und ihr Astronaut“ ist dem britischen Autor David M. Barnett eine wunderbar warmherzige Geschichte geglückt, die von ihren charmanten, eigenwilligen Figuren lebt und jener schönen Mischung aus schwerelosen Unwahrscheinlichkeiten und dem ganz gewöhnlichen Alltagsirrsinn. Gleichsam musikalisch untermalt wird der vergnügliche Roman von David Bowies berühmtem Ohrwurm „Space Oddity“.

Gladys schaut gerade die Nachrichten, als das Telefon klingelt. In diesem Moment läuft ein Bericht über einen Mann im All, der mit einem kleinen Mädchen auf der Erde gesprochen hat. Wie es aussieht, hat er sie zum Weinen gebracht, aber ein anderer Mann von den Weltraumleuten, mit schwarzen Haaren und Anzug und Krawatte, meint, dass sie wahrscheinlich überwältigt war, weil sie gerade mit einem echten Astronauten sprechen durfte. Ein paar Leute sitzen dort auf dem Sofa, und der Mann von den Weltraumleuten ist hinter ihnen auf einem großen Bildschirm zu sehen. Er hat extrem buschige Augenbrauen.

Ina Grün

Leseprobe

Gladys schaut gerade die Nachrichten, als das Telefon klingelt. In diesem Moment läuft ein Bericht über einen Mann im All, der mit einem kleinen Mädchen auf der Erde gesprochen hat. Wie es aussieht, hat er sie zum Weinen gebracht, aber ein anderer Mann von den Weltraumleuten, mit schwarzen Haaren und Anzug und Krawatte, meint, dass sie wahrscheinlich überwältigt war, weil sie gerade mit einem echten Astronauten sprechen durfte. Ein paar Leute sitzen dort auf dem Sofa, und der Mann von den Weltraumleuten ist hinter ihnen auf einem großen Bildschirm zu sehen. Er hat extrem buschige Augenbrauen.

„Die Sache ist die: Nach jemandem wie Tim Peake erwarten wir, dass unsere Astronauten mehr sind, als was sie eben sind“, sagt eine blonde Frau im beigen Hosenanzug, die links neben dem Nachrichtensprecher sitzt. „Wir erwarten, dass sie sich benehmen wie Celebritys.“

Der Mann, der auf der anderen Seite neben dem Moderator sitzt, hat eine dicke Brille und strubbeliges Haar. Er sieht eher aus wie ein Wissenschaftler.  „Aber er ist keine Celebrity. Er ist da oben, um seine Arbeit zu tun. Er wird fast ein halbes Jahr zum Mars unterwegs sein und dabei jeden Tag einen strikten Stundenplan befolgen. Er ist nicht dort, um uns zu unterhalten.“

„Versuchen Sie mal, das den Sponsoren dieser Mission zu erzählen“, erwidert die Frau. „Versuchen Sie das mal den Schulkindern zu erzählen, deren Hoffnungen und Träume er in der Ares-1 mitnimmt. Es dauert nicht mehr lange, und ein Brite wird der erste Mensch auf dem Mars sein. Wir sollten den Astronauten bekommen, den wir verdienen, nicht so einen … einen Griesgram.“
Der Mann vom Raumfahrtzentrum auf dem großen Bildschirm wackelt mit den Augenbrauen.

Gladys sitzt in ihrem Stuhl am Kamin und versucht sich darüber klarzuwerden, wie viele Kekse sie schon gegessen hat und ob sie noch einen will.

„Wer ist das denn?“ Sie schaut auf das Display ihres Handys. Es ist eine lange Reihe von Ziffern, viel länger als die von denen, die sie sonst so anrufen. Muss irgendwer aus dem Ausland sein. Sie unterhält sich gern mit Leuten aus dem Ausland.

„Hallo“, sagt Gladys ins Telefon, laut und langsam, für den Fall, dass sie wirklich aus dem Ausland anrufen.

Es gibt ein Zischen und eine Pause, dann sagt eine Männerstimme: „Ähm. Das ist die letzte Nummer, die ich von … ist dort …? Nein, natürlich sind Sie’s nicht, aber … ist das der Anschluss von Janet? Ist sie zu Hause …?“

„Mit wem spreche ich?“

„Mit wem spreche ich denn?“, fragt die Stimme.

Gladys weiß nicht recht, ob ihr dieser Ton gefällt. „Sie müssen sich zuerst melden. Sie haben schließlich mich angerufen.“

„Hören Sie, ist das jetzt Janets Anschluss oder nicht?“ Puh. Der klingt ja echt, als hätte er einen Stock im Arsch, wie Bill immer so schön sagte.

„Janet.“ Gladys sucht in ihrem Gedächtnis. „Ja, ich kenne Janet. Wer spricht da bitte?“

Die Stimme des Mannes klingt jetzt ganz auf­geregt, dann versucht er sich wieder in den Griff zu bekommen. „Also, hier ist … hier ist Thomas. Kann ich mit ihr sprechen?“

„Ich habe gerade einen Mann namens Thomas im Fernsehen gesehen.“ Gladys findet, dass sie doch noch einen Keks essen sollte. „Er ist im All unterwegs. Er hat mit einem kleinen Mädchen gesprochen.“

„Ja!“, sagt der Mann. „Oh Gott, ja, das bin ich! Thomas Major! Ich bin der Mann, der zum Mars fliegt! Ich bin Janets Mann. Ist sie da?“

Gladys runzelt die Stirn. „Sie haben das kleine Mädchen zum Weinen gebracht.“ 

„Nein, stimmt gar nicht. Ich meine … sie hat mir aber auch wirklich die banalste Frage überhaupt gestellt … Und während wir geredet haben, wurde unsere Verbindung unterbrochen … Aber mit wem spreche ich denn überhaupt? Können Sie Janet für mich an den Apparat holen?“

„Sie rufen wirklich aus dem All an?“ Gladys hält den Keks in die Höhe und mustert ihn blinzelnd. Sie beißt hinein. Jetzt nimmt er ab. Der Keks-Mond. So heißt das doch, wenn er kleiner wird, oder? Abnehmender Mond.

„Ja, ich rufe wirklich aus dem All an“, sagt der Mann, Thomas.

„Und Sie behaupten, Sie sind Janets Mann?“ Sie könnte jetzt wirklich eine Tasse Tee brauchen, um diesen Keks runterzuspülen. „Sie erzählen mir hier doch keinen Kokolores, oder?“

Eine kurze Pause. „Also, wenn wir die Frage jetzt ganz genau auffassen wollen, wenn Sie Mitglied ­einer Art Genauigkeitspolizei sind, von der Janet ihr Telefon beantworten lässt, dann muss ich sagen, ich bin tatsächlich nicht ihr Mann. Ich bin wohl eher ihr Exmann. Also, was ich damit sagen will: Ja, ich bin ihr Exmann.“

„Hab ich mir doch gleich gedacht, dass sie mir Kokolores erzählen!“, ruft Gladys triumphierend. „Janet war mit diesem anderen Kerl verheiratet. Jetzt fällt mir gerade der Name nicht ein.“

„Ned, meinen Sie?“, sagt Thomas über Meilen von Raum und Luft hinweg. „Der Mann, mit dem sie zusammengelebt hat? Wow. Das muss ja … Moment, wie meinen Sie das, ist sie jetzt nicht mehr mit ihm verheiratet? Sie hat geheiratet und sich wieder scheiden lassen? Sagen Sie, mit wem spreche ich denn jetzt eigentlich? Ganz im Ernst?“

„Sie hat sich nicht scheiden lassen. Sie ist verwitwet. Er ist gestorben. Ein Emphysem war es, glaub ich.“ 

„Ein Emphysem. Verdammt.“ Eine Weile sagt keiner etwas. „Also, ich frage Sie jetzt noch einmal. Wer spricht da? Ich dachte erst, Sie könnten Neds Mutter sein, aber das sind Sie offenbar nicht. Warum haben Sie Janets Nummer? Haben Sie mit ihr zusammengearbeitet?“

„Das hier ist nicht Janets Telefon“, sagt Gladys kühl. „Das ist meines. Ich bezweifle, dass Janet Crosthwaite überhaupt weiß, wie man so ein Telefon wie dieses hier bedient. Geschweige denn, dass sie so eines besitzen würde.“

„Janet … Crosthwaite?“