Nina George: DIE SCHÖNHEIT DER NACHT

"Kinder müssen lesen lernen"

13. Juni 2018
Nina George schreibt nicht bloß Bestseller, sondern engagiert sich auch in aktuellen Debatten. Im Interview spricht sie über die Zukunft des Lesens und des Buchhandels, ihren neuen Roman und über Frankreich. 

Egal ob im Zug oder in der Straßenbahn: Selten sieht man heute noch Leute, die ein Buch lesen. Stattdessen wird auf dem Laptop ein Film geguckt oder auf dem Handy getippt. Macht Ihnen das als Autorin Angst?
Zur DNA meines Berufs gehört es, keine Angst zu haben. Ich glaube auch nicht, dass das Bücherlesen ausstirbt, einfach weil Menschen eine große Sehnsucht nach Geschichten haben, egal ob gedruckt, gehört, verfilmt oder in Games integriert. Kein Medium ist aber so tiefenbefriedigend wie ein Buch. Deshalb ist mir um die Zukunft des Buchs auch nicht bange.

Haben Sie aber nicht auch den Eindruck, dass Kindern die Fähigkeit ­abhandenkommt, längere Texte zu lesen?
Das stimmt. Deshalb muss es eine zentrale Aufgabe der Bildungspolitik sein, diese Kulturtechnik zu vermitteln. Man muss frühzeitig in die Leseförderung einsteigen, um das Lesen und die Konzentration auf lange Texte zu trainieren. 

Der digitale Wandel hat zur Folge, dass immer mehr Buchhandlungen schließen; es gibt Innenstädte, da findet man keine einzige mehr.
Das empfinde ich als großen Verlust, denn eine Buchhandlung ist ja nicht nur ein Warenumschlagplatz für Bücher, sondern das, was die Soziologie als „dritten Ort“ bezeichnet: Hier trifft man sich, man fühlt sich wohl und tauscht sich aus. Wo eine Buchhandlung ist, sind in der Regel auch lebendige Innenstädte oder Stadtteile mit Cafés und Ähnlichem. Dass Buchhandlungen weit ins geistige und emotionale Leben hineinwirken, wird oft dramatisch unterschätzt. 

Was lässt sich gegen diese fatale Entwicklung tun?
Man muss den Menschen klarmachen, welch einzigartige Buchhandelskultur wir hierzulande haben, die jeder pflegen und unterstützen sollte. Es ist traurig, aber leider zutiefst menschlich, dass dies nicht so ist. Ich nenne das den „Zahnseide-Effekt“: Aus Bequemlichkeit verzichtet man auf den Gebrauch von Zahnseide, obwohl jeder weiß, dass dies negative Folgen hat. Beim Onlinehändler Bücher zu kaufen, ist dabei nicht einmal billiger als beim Buchhändler um die Ecke. 

Können auch die Buchhändler etwas tun?
Natürlich! Mein Appell an sie lautet: „Verführen Sie mich!“ Buchhandlungen sollten Orte für Begegnungen und besondere Erlebnisse sein. Warum nicht eine Vinyl-Platten-Abteilung einrichten oder eine Café-Ecke mit WLAN anbieten? Autorenlesungen können auf das Buch Bezug nehmen und zum Beispiel mit Musik, einer Wein- oder Schokoladenprobe kombiniert werden. Mir geht es nicht um „Eventisierung“, sondern einfach nur um eine andere Form der Literaturvermittlung. 

Sie engagieren sich im PEN, kämpfen für das Urheberrecht, setzen sich für verfolgte Autoren ein – wie finden Sie dafür die Zeit? Ihr Hauptberuf ist schließlich Schriftstellerin …
Gut, dass Sie mich daran erinnern! Ich werde mich 2019 tatsächlich aus meinen Ämtern zurückziehen, politisch stillhalten werde ich aber natürlich nicht. Als in den letzten Monaten die Debatten um Integration, rechte Gesinnung und multikulturelle Gesellschaft hochkochten, stand plötzlich die Buchbranche im Fokus, und viele Politiker appellierten an die Branche, etwas zu tun. Ich finde das großartig – weil wir das können, weil wir wortstark sind und uns gegen den Rechtsruck positionieren!

Zu Ihrem neuen Roman „Die Schönheit der Nacht“, der wie viele Ihrer Bücher in Frankreich spielt: Frankreich-Romane und -Krimis liegen derzeit voll im Trend – woran liegt das?
Das stimmt. Mein erster Roman, der in Frankreich spielt, ist allerdings schon 2008 erschienen, also lange vor diesem Trend. Viele dieser Bücher vermitteln ein idealisiertes Frankreich-Bild, was ja nicht verwerflich ist. In ihnen wird besser gegessen, intensiver genossen und die Sexualität ausgelebt – ein Gegenentwurf zum eher strengen deutschen Leben. Wer die Landschaften Frankreichs preist, übertreibt aber keineswegs. Ich lebe selbst in Frankreich und feiere diese vielfältige und großartige Landschaft, beschreibe sie in meinen Büchern, erzähle aber auch vom profanen Alltag.

Frankreich ist das Land Ihrer Träume?
Ich neige zwar nicht zum Träumen und zum Verklären, aber Frankreich kommt dem schon recht nahe, wonach ich mein halbes Leben lang suche, nämlich dem inneren Frieden.

Wann ist Ihre Liebe zu Frankreich erwacht?
Meine Mutter arbeitete als junge Frau als Au-pair-Mädchen in Paris, daher hat sie bei uns zu Hause immer wieder französisch gekocht und uns von Frankreich erzählt. Ich habe mir Bildbände angesehen und Romane französischer Autorinnen wie Anaïs Nin, Marguerite Duras oder der großartigen Irène Némirovsky gelesen. So bin ich über das Essen und die Landschaft zur französischen Seele, vor allem zur weiblichen Seele vorgedrungen und habe mich hier das erste Mal selbst gefunden. Dieser französische Blick auf die Frau und auf die Gesellschaft ist mir einfach viel näher als der deutsche Blick.