Die Lebenswege zweier Frauen kreuzen und verflechten sich in diesem packenden Roman auf schicksalhafte Weise: Annamaria ist 17, schwanger und steht kurz vor dem Abitur. Der Vater des Babys ist ihr Deutschlehrer, und der rettet lieber die eigene Haut, als ihr beizustehen. Die meist alkoholisierte Pflegemutter lässt Annamaria ebenfalls im Stich. Dabei hätte das Mädchen Hilfe dringend nötig – erst recht, als aus einem Fastnachtsspiel grausamer Ernst wird. Doch dann begegnet Annamaria Liane, der Übermutter und „Super-Nanny“, die im geräumigen Landhaus ein Vorzeigeleben zu führen scheint: Die Psychotherapeutin hat fünf Kinder, die sie vorbildlich mit Frischkornmüsli, Waldorfschule und „stillem Stuhl“ erzieht. Sie veröffentlicht Erziehungsratgeber, hat eine gut gehende Psychotherapeuten-Praxis und bald auch eine eigene Fernsehsendung. Der Ehemann bringt als Oberarzt im Krankenhaus allerdings nur wenig Zeit fürs Familienleben auf. Da kann Liane Annamarias Unterstützung im turbulenten Alltag gut gebrauchen.
Was wie eine glückliche Fügung erscheint, entpuppt sich als große Täuschung. Nach und nach zeigt die Autorin in Rückblenden und Zeitsprüngen, dass sich hinter der progressiven Fassade der Familie ein Gemisch aus Lügen, Intrigen und Grausamkeiten verbirgt. In dieser vordergründig heilen Welt ist kaum jemand, was er zu sein vorgibt. Anja Jonuleit entlarvt ihre vielschichtigen Figuren und deren Beziehungen über vier Jahrzehnte hinweg mit spitzer Feder. Ein herrlich abgründiger Lesegenuss.