Ulrich Tukur: DER URSPRUNG DER WELT

„Die Fantasie ist Wirklichkeit“

9. Oktober 2019
Er zählt zu den bedeutendsten Schauspielern Deutschlands, ist ein mitreißender Musiker und Entertainer. Jetzt legt Ulrich Tukur mit „Der Ursprung der Welt“ sein drittes Buch vor – seinen ersten Roman. 

Herr Tukur, welche Rolle spielt die Schriftstellerei inzwischen in Ihrem hochtourigen Leben als Schauspieler und Musiker?
Eine immer größere, aber noch steht sie im Schatten von Schauspiel und Musik. Die Freude allerdings an einem Universum, das man beim Schreiben selbst erschafft, ist unendlich viel größer als die Befriedigung, die in der reproduktiven Kunst liegt, egal wie gelungen sie ausfällt. 

Ausgangspunkt des Romans ist ein altes Fotoalbum, das eine fantastische Zeitreise auslöst. Sie katapultieren Ihren Helden in die Vergangenheit. Was reizt Sie an diesem Kunstgriff? 
Ein Kunstgriff setzt ja die reflektierte Entscheidung voraus, eine Geschichte so und nicht anders zu erzählen. Ich habe mir über derlei Dinge nie Gedanken gemacht. Goullet war in mir, Teil meiner Erinnerung, meiner Sehnsüchte, Hoffnungen und Ängste, und weil ich ja selbst in vielen Zeiten zu Hause bin, am wenigsten aber in der mich umgebenden sogenannten Wirklichkeit, hat sich die Handlung ohne gesetzte Struktur aus sich selbst, aus mir selbst heraus entwickelt. 

Sie haben Ihren Roman in Deutschland und Frankreich 1943 und 2033 angesiedelt. Ihr Held wird zum Akteur zwischen Widerstandskämpfern, Nazis, skrupellosen Verbrechern. Fast Gleiches durchlebt er in der Gegenwart des Romans, in der rechtsnationale Kräfte in Frankreich einen totalitären Überwachungsstaat aufgebaut haben und Europa im Chaos versinkt. Ist das Ihre düstere Zukunftsvision?
Es ist eine düstere Sicht, das stimmt. Wenn man sich aber das konfuse Europa von heute ansieht, die politische Situation in beiden Amerikas, in Russland und China, die fortschreitende Zerstörung der Natur, die Überbevölkerung, wie soll man da an eine humanistische, demokratische Zukunft glauben? Die Geschichte wiederholt sich insofern, als alle gesellschaftlichen Gebilde, wie der menschliche Körper selbst, ständig der Auflösung zustreben und es einer ungeheuren Anstrengung bedarf, diesen Verfall aufzuhalten. Ohne starke, lebendige Wertesysteme wird es jedoch nicht funktionieren. Klammheimlich hatte ich aber auch die Hoffnung, dass ich durch die Beschreibung dessen, was passieren könnte, die bösen Geister banne. 

Trotz aller Fiktion steckt viel Realität im Roman. Reale Schauplätze und Begebenheiten, reale Menschen, die Vorbilder für Romanfiguren waren. Was war Ihnen bei diesen Recherchen wichtig?
Wenn man einen fantastischen Roman schreibt, muss die Grundierung stimmen und Substanz haben. Sie muss getragen sein durch viele stimmige, wahrhaftige Details. Dafür ist eine gründliche Recherche sehr wichtig. Nur wenn Sie auch im Kleinen glaubwürdig sind, verführen Sie Leser, sich Ihrer irrwitzigen Reise anzuschließen. Und wieder und ­wieder machte ich die Erfahrung, dass die ungeheuerlichsten Menschen und verstiegensten Dinge in der Realität zu finden sind. Die Wirklichkeit ist Fantasie, die Fantasie Wirklichkeit und das Leben ein Traum. So in etwa funktioniert mein Buch.