Interview mit Emma Healey

Vom langsamen Entgleiten der Welt

4. April 2014
Sie ist erst 28, und doch hat sich Emma Healey schon intensiv mit dem Thema Alzheimer befasst. Ihr berührendes und zugleich spannendes Romandebüt „Elizabeth wird vermisst“ ist von der Erinnerung an ihre Großmutter getragen – und dem Wunsch, Demenzkranken mehr ­Verständnis entgegenzubringen, sagt sie im Interview.

Ihre Heldin Maud ist 80, sie ist an Alzheimer erkrankt, und sie vermisst ihre Freundin Elizabeth – sie glaubt, dass sie ­verschwunden ist. Maud sucht sie, schreibt Zettel über ihre ­Suche, vergisst aber alles schnell und fängt wieder von vorn an. Wie sind Sie auf die Idee zu dieser Geschichte über Maud und ihre Suche nach Elizabeth gekommen?
Das war 2007. Ich saß im Auto mit meinem Vater und seiner Mutter. Sie zeigte die ersten Alzheimer-Symptome und sagte, dass sie nicht wisse, wo ihre Freundin ist. Das war damals kein großes Rätsel: Meine Großmutter fand bald heraus, dass die Freundin bei ihrer Tochter war. Aber es hat mich auf die Idee zu meinem Roman gebracht.

Handelt Mauds Geschichte also von Ihrer Großmutter?
Ein wenig schon, ich greife aber auch auf das Leben meiner anderen Großmutter zurück. Als sie krank wurde und klar war, dass sie bald sterben würde, bin ich nach Hause gefahren. Ich war zwei Stunden im Zug, konnte nicht lesen, weil ich so unruhig war – und dann habe ich all die Geschichten aufgeschrieben, die sie mir erzählt hat. Die Demenz der einen Großmutter und viele Kindheitserinnerungen der anderen, aber auch fiktive Momente habe ich zusammengefügt.

Sie beschreiben detailliert, wie Maud versucht, mit ihrem Alltag fertigzuwerden, obwohl sie immer mehr vergisst und zunehmend verwirrt ist. Wie kommt es, dass Sie so genau über Alzheimer Bescheid wissen?
Von den vielen Verwandten meines Vaters, die erkrankt sind. Außerdem von Freunden und Bekannten, die mir ihre Familiengeschichten erzählt haben. Und ich habe viel gelesen. Nicht so sehr wissenschaftliche Werke, aber vor allem viele Tagebücher von Demenzkranken, die anfangs noch geschrieben haben, und von ihren pflegenden Angehörigen.

Mauds schwieriger Alltag ist eine Seite Ihres Romans. Es gibt aber auch Erinnerungen an die Zeit, als sie ein Kind war und ihre große Schwester spurlos verschwand. Wie sind Sie dazu gekommen, diese beiden Aspekte miteinander zu verbinden?
Demenzkranke wollen sich oft mit dem beschäftigen, was ihnen früher wichtig war: Gärtnern zum Beispiel, auch wenn sie das nicht mehr können und die Blumen zu Tode gießen. Deshalb wollte ich, dass die Geschichte um die verschwundene Elizabeth an Mauds früheres Leben anschließt. Es sollte mit etwas zu tun haben, was für sie große Bedeutung hatte, und so erzähle ich, dass ihre Schwester verschwand und Maud und ihre Eltern lange nach ihr gesucht haben.

Das nimmt viel Raum in ihren Gedanken ein ...
Ja, diese Erinnerungen an ihre Kindheit hat Maud noch. Mir gab das die Gelegenheit, Krimielemente in meinen Roman zu bringen, das hat mir viel Spaß gemacht. Und ich konnte so auch von einer Zeit erzählen, die ich sehr spannend finde: vom Ende des Zweiten Weltkriegs.

Sie haben einen Roman geschrieben, bleiben mit vielen Details aber dicht an der Realität. Gibt es so etwas wie eine Botschaft, die Sie vermitteln wollen?
Nein. Ich habe natürlich viel an meine Großmütter gedacht, das war mir wichtig, ich wollte aber auch einfach eine Geschichte erzählen, und ich wollte sie gut erzählen. Ich bin nach Norwich gezogen wegen der tollen Creative-Writing-Kurse dort, habe mich intensiv mit Aufbau und Struktur meines Romans befasst und auch immer neue Entwürfe geschrieben.

Wie lange haben Sie an dem Buch gearbeitet?
Fünf Jahre. Es ging mir um das Schreiben – und vielleicht doch auch um einen Aspekt, den ich nicht als Botschaft verstehe, aber ich würde mich freuen, wenn die Leser darüber nachdenken: dass oft über Demenzkranke gesprochen wird, als ob sie nicht im Raum wären. Ich finde es aber wichtig, sie auch in ihrer Krankheit als Menschen wahrzunehmen und mehr für sie zu tun, als zurzeit für sie getan wird.