Interview mit Marc Elsberg

„Die Zukunft hat viele überholt“

11. Juni 2014
Es gibt kein Entrinnen: Marc Elsberg beschreibt in seinem beklemmenden Internet-Thriller „Zero“ eine Welt der totalen Überwachung. Ein durchaus realistisches Szenario, wie der Autor im Gespräch meint.

Wie halten Sie es mit Google, Facebook & Co.?
Ich verwende alles; ich habe entsprechende Einstellungen bei der Privatsphäre, aber die Daten, die Google oder Facebook haben wollen, holen sie sich trotzdem. Außerdem muss man nicht ins Internet, um gläsern zu sein. Ihre Kreditkartenfirma, Ihre Bank, Unternehmen, von denen Sie eine Kundenkarte haben, oder Ihr Mobilfunkprovider wissen genauso viel über Sie. Und es geht nicht nur um das Sammeln von Daten, sondern darum, was damit gemacht wird.

Die Heldin Ihres neuen Thrillers „Zero“, Cynthia Bonsant, ist über die neuen Technologien erschrocken …
Ich habe Freunde, die wie Cynthia erst nach und nach erkennen, dass sie von der Zukunft überholt worden sind, als ob sie aus einem 20-jährigen Tiefschlaf erwacht wären und feststellen: Die Science-Fiction-Geschichten meiner Jugend sind Wirklichkeit geworden. Cynthia wird erst durch den Tod eines Freundes ihrer Tochter dazu gebracht, sich damit zu befassen. Das bemerke ich auch bei mir im Freundeskreis: Langsam verstehen die Leute, dass diese Technologien längst unseren Alltag durchsetzen.

Ist das für Sie spannend oder beängstigend?
Sowohl als auch. Es ist ein Werkzeug und letztlich hängt es von uns ab, was wir damit machen. Eine kanadische Statistikerin hat in den gesammelten Daten von Frühgeborenen Hinweise gefunden, die geholfen haben, die Frühchen-Sterblichkeitsrate deutlich zu senken. Das zeigt, dass man damit Leben retten kann. Man kann aber auch das Gegenteil tun. Die USA sind dabei, Drohnen zu entwickeln, die selber bestimmen, ob sie eine Hochzeitsgesellschaft ermorden oder nicht. Das ist die andere Seite.  

Ihr Thriller beschreibt eine Firma, an die man seine persönlichen Daten verkaufen kann. Etwas Ähnliches gibt es inzwischen auch in Deutschland. Sind Sie ein moderner Jules Verne?
Jules Verne hat beschrieben, wie man auf den Mond fliegt, und dann hat es rund 100 Jahre gedauert, bis es so weit war. Ich beschreibe die Gegenwart und nicht die Zukunft. Die wesentlichen Technologien in „Zero“ gibt es schon, bis auf die umfassenden Verwertungsmöglichkeiten der persönlichen Daten durch Ratgeberprogramme. Diese Programme sind schon vorhanden, nur noch nicht ganz so elaboriert, wie sie in „Zero“ dargestellt werden. Es gibt ­wenig in meinem Buch, was in die Zukunft vorgreift, und das sind dann auch nur ein, zwei Jahre. Alles andere ist bereits Gegenwart.

Würden Sie Ihre Daten verkaufen?  
Momentan nicht, weil die Machtverhältnisse zu ungleich sind. In „Zero“ verkauft Cynthias Tochter ihre Daten, um ihr Taschengeld aufzubessern. Ein paar Hundert Euro im Monat, nur dafür, dass man seine Daten sammelt und zur Verwertung freigibt, das klingt zunächst nicht schlecht. Man muss allerdings verstehen, was hier grundsätzlich stattfindet, nämlich eine Verschiebung der Machtverhältnisse. Wissen ist Macht – und heute wissen ein paar Konzerne oder Institutionen sehr viel über uns. Aber wir wissen nichts über sie.

Wenn alles in Algorithmen übersetzt wird, geht dann nicht das Unvorhersehbare, das Emotionale verloren?

Ich bin diesbezüglich optimistisch. Wenn man ein Buch schreibt oder Algorithmen entwickelt, braucht man dieses Unvorhersehbare, das, was man Kreativität nennt. Das können Algorithmen bis heute nicht richtig. Aber das kreative Element wird es schwerer haben in einer Gesellschaft, die abhängig ist von Programmen, in deren Genen das Unvorhersehbare nicht vorgesehen ist.

Nutzen Sie den Thriller, um gesellschaftliche Veränderungen darzustellen?

Vielleicht zu einem gewissen Grad. Ich schreibe über das, was mich interessiert, ich muss keine Aufklärungsarbeit leisten. Aber wahrscheinlich würde ich auch dann, wenn ich einen aufklärerischen Impetus hätte, die Romanform wählen, weil ich damit mehr Menschen erreiche als mit einem Sachbuch, und ich erreiche sie auf der emotionalen Ebene, die viel stärker berührt als das Rationale.