Daniel Glattauer: GESCHENKT

Der Fremdmenschenmöger

21. August 2014
Das Buch „Gut gegen Nordwind“ machte ihn berühmt, doch bis heute ist Daniel Glattauer ein scheuer Star geblieben. Sein neuer Roman „Geschenkt“ erzählt von einer  anrührenden Vater-Sohn-Beziehung.

Es gibt nur wenige Menschen, mit denen man gern einen Kaffee tränke, auf Schwalben,   Ameisenstraßen und das Dasein blicken, hin und wieder über das Wetter sprechen und ansonsten schweigen würde. Stundenlang. Daniel Glattauer, Star-Schreiber aus Wien, zählt zu ihnen. Der 54 Jahre alte Österreicher ist gelassen, weltoffen – und Meister der unaufgeregten Töne. Auch im Erfolg bleibt er leise, erstrebt Ruhe statt Rummel. Ein Experte will er nicht sein, es nerve ihn, jeder sei nur Fachmann für das eigene Leben. „Siege, bei denen es rundum Verlierer gibt, machen die Sieger nicht glücklich“, urteilt er. „Ohne die Freude der anderen ist das Leben für einen selbst freudlos.“

Mit Bestsellern wie „Gut gegen Nordwind“ und „Alle sieben Wellen“ hat er in atemberaubender Auflage abgeräumt, wovon andere Autoren nur träumen. Millionenfach liegen ihm lesende, vor allem weibliche Menschen spätestens nach seinen E-Mail-Romanen zu Füßen. Einfühlsam und  unterhaltsam schildert er, warum es meistens ziemlich schön ist, auf der Welt zu sein.

Der „Fremdmenschenmöger“, wie Glattauer sich selbst nennt, hat Themen wie Stalking oder Liebe aufgegriffen. Und der Doktor der Pädagogik und langjährige Kolumnist und Gerichtsreporter der österreichischen Zeitung „Der Standard“ gräbt nun freiberuflich unverdrossen und klug weiter im Dasein. Dass ihn der Erfolg eher befremdet und er weder in Talkshows drängt noch sonstiges Theater um seine Person sucht, zeichnet ihn aus. Repräsentatives nervt den scheuen Zuhörer, fürs Kreative brauche er seinen Schutzraum.

Ein Wiener Leben im Vierteljahrhundert-Takt. Mit 25 Jahren hat Glattauer seine Frau Lisi  kennengelernt, mit fast 50 hat er nach der langen journalistischen Ära einen neuen Lebensabschnitt mit der Schriftstellerei gewagt, und für die Zukunft verkündet er selbstironisch, womöglich mit 75 Jahren ein Singer-Songwriter zu werden.

Nun erscheint sein neuer Roman: „Geschenkt“ ist wieder ganz anders und dennoch ein Glattauer ganz und gar, eine berührende Liebesgeschichte inklusive. Gerold Plassek, so heißt sein Antiheld, wenn nicht gerade Exfrauen oder sonstige Plagegeister ihn „Geri“ nennen, ist ein Verlierer. Ein antriebsloser Parade-Looser. Der Alkoholiker und Journalist bei der Gratiszeitung „Tag für Tag“, einem „kulturlosen Blatt für ein kulturloses Publikum“, wurschtelt sich durch. Irgendwie. Und nun muss der Abgestürzte seinen strebsamen, pubertierenden Sohn Manuel betreuen, von dessen Existenz er erst kürzlich erfahren hat. Die Mutter muss für „Ärzte ohne Grenzen“ nach Somalia, seine Tochter hat einen fragwürdigen Freund, und Geri geht, zumindest darauf ist Verlass, in die Kneipe.

Und dann ereignet sich nach einer Sozialreportage über eine Schlafstätte für Wohnsitzlose eine Spendenserie, die sich übrigens auch im echten Leben zutrug, als „Wunder von Braunschweig“. Zurück zur Fiktion: Immer, wenn Plassek einen Text veröffentlicht hat, bekommen Bedürftige aller Art einen Umschlag. 10 000 Euro im dicken Kuvert, Absender unbekannt. Der Mann kommt groß raus, sein Sohn erwartet seine Hilfe für eine von Abschiebung bedrohte Familie – das Leben stürmt mit voller Wucht auf ihn ein. Glattauers Botschaft, so viel sei verraten: Nicht immer haben die mit den dicksten Konten auch das allergrößte Herz. Und Geri, anfangs flügellahm, verblüfft am Ende gewaltig.

Auch im Leben seines Erfinders spielen Kinder eine riesige ­Rolle. Ohne sie gäbe es „kein Leuchten, kein Lachen, keine Unbeschwertheit“, sagt Glattauer. Und schon erzählt er von Thomas, seinem längst erwachsenen „Burli“, vom Neffen Theo, über den er ein Buch geschrieben hat (für das sich Theo auch kurz vor dem Philosophiestudium nicht geniere), von Suzi und Dani, den Kindern seines Bruders Niki, der mit seinem Buch über die „Pisa-Lüge“ bekannt geworden ist, von Emmi und Lino aus der Nachbarschaft.

Und er zeigt sich solidarisch mit engagierten Journalisten, denen es ganz egal sei, ob Sozialreportagen Geld bringen, wenn es gelte, Elend und Ungerechtes anzuprangern. Denn, das kommt, wie immer bei Glattauer, leise, aber mit Nachhall: „Haben ist angenehm, aber Teilen ist schöner.“