Literarische Debüts

Das fängt ja gut an!

30. September 2014
Dem großen Publikum sind ihre Namen wohl noch recht unbekannt, aber das könnte sich bald ändern:  Diesen Newcomern sind Prosawerke zu verdanken, die erfüllte Lesestunden ­versprechen. Die Bandbreite der eigenwilligen Tonlagen reicht von markig bis sinnierend.

Andere mögen mit 16 noch Träume haben, der toughe Luis folgt einem Plan: Sobald Verena Güntners Antiheld genügend „Girls“ im Zuge seiner „Fickwetten“ rumgekriegt hat, will er sich ein Tattoo leisten. Sein markiges Lebensmotto – gereift und erprobt in der Hochhaussiedlung, wo er mit seiner jungen Mutter lebt – lautet: „Ich bin der Trainer, und ich bin die Mannschaft.“ Durch Selbstabhärtung fühlt sich Luis stark, der Welt überlegen. Doch dann verhalten sich ausgerechnet jene zwei Menschen, an denen ihm am meisten liegt, anders als vorgesehen. Und sein Selbst-Panzer erweist sich als zu starr.

Im Imperium des eigenen Willens kann auch die 13-jährige Blue, ersonnen von Solomonica de Winter, bloß vorübergehend regieren. Blue sieht sich als Mörderin, hat es rachedurstig auf jenen Kredit­hai abgesehen, der ihren Vater auf dem Gewissen hat und damit sie selbst einer drogensüchtigen Mutter auslieferte. Ist Blue aus Trauer verrückt geworden? Sie bestreitet es glaubwürdig – und erzählt, als Patientin zurückblickend, ihrem Arzt eine ziemlich fantastisch anmutende Geschichte …

Der Roman „Caiman und Drache“ wiederum enthält einiges mehr an Realismus, als der Titel vermuten lässt: Ein oberschlesisches Dorf versinkt am Vorabend des Zweiten Weltkriegs in einem Morast des Misstrauens; selbst die Zwillinge Karl und Alois – beide begehren dieselbe Frau – lassen sich zu Rivalen machen. Obendrein gibt’s einen Krimi­plot.

Doch zurück in die nähere Gegenwart und sogar in die Zukunft: Franz Friedrich hat seine Handlungs­fäden nicht nur quer durch Europa, sondern bis ins Jahr 2017 gespannt. Obgleich eine evakuierte finnische Insel, deren Vogelpopu­lation verstummt ist, in literarischen Gefilden als klares Krisensymptom zu gelten hat – dieser Autor hat keineswegs eine aufdringliche Dystopie geschaffen, sondern unsere Welt und Wirklichkeit so subtil verfremdet, dass sich ein Möglichkeitsraum auftut.

Apropos Möglichkeit: Wer im Alltag kaum Zeit hat, um lange am Stück zu lesen, ist reif für einen intensiven Erzählungsband, wie ihn Karen Köhler verfasst hat. Vorsicht, es kann vorübergehend zu Kloßbildung im Hals kommen, denn die weiblichen Ichs, die im Zentrum der neun pointierten Plots stehen, durchschreiten die Täler des Lebens, sind körperlich oder psychisch versehrt, meist durch die Liebe. Doch sie entfalten dabei teils absurde, oft beeindruckende Selbstbehauptungskräfte. Nachschlag, bitte!