Don Winslow: MISSING. NEW YORK

Ein unermüdlicher Erzähler

1. Oktober 2014
Mit seinen Krimis hält Bestsellerautor Don Winslow Amerika den Spiegel vor.  Schonungslos zeigt er eine Gesellschaft, in der die Skrupellosigkeit regiert. Im Mittelpunkt seiner packenden neuen Reihe steht Ermittler Frank Decker: ein Getriebener, der sich unerbittlich und mit großer Hartnäckigkeit um Gerechtigkeit müht.

Don Winslow weiß genau, wovon er schreibt. Der in New York geborene Krimiautor hat nach seinem Studium selbst jahrelang als Privatdetektiv und Sicherheitsberater gearbeitet. Während langwieriger Observierungen hat er Stunden im Auto verbracht und dabei die Klassiker von Raymond Chandler, Dashiell Hammett und Elmore Leonard gelesen. Als Privatdetektiv beschäftigte er sich mit etlichen Fällen von Brandstiftung und Betrug, dem ein oder anderen Mordfall und Kindesmissbrauch und zog dabei quer durch die USA, bevor er sich mit seiner Frau und seinem Sohn in Südkalifornien niederließ.

„Seit meiner Kindheit wollte ich Schriftsteller werden. In meiner Familie gab es großartige Geschichtenerzähler“, sagt Winslow im Interview. Die Geschichten, die sein Vater von der US-Navy erzählte, beflügelten schon als Kind seine Fantasie, genauso wie die Erfahrungen seiner Großmutter, die Ende der 1960er Jahre in New Orleans für den berüchtigten Mafiaboss Carlos Marcello arbeitete.

Mit dem Roman „Die Auferstehung des Bobby Z“ hatte Winslow  1997 einen ersten großen Erfolg und zwei Jahre später gewann er für „Die Sprache des Feuers“ den renommierten Shamus Award. Als sein Meisterwerk gilt der monumentale Roman „Tage der Toten“ über den Drogenkrieg in Mexiko, für den der Autor sechs Jahre lang intensiv recherchierte und international ausgezeichnet wurde. Endgültig in die obere Liga der US-Krimiautoren stieg Winslow auf, als Regie-Legende Oliver Stone seinen Roman „Zeit des Zorns“ unter dem Originaltitel „Savages“ verfilmte, wofür Winslow auch das Drehbuch schrieb. Mittlerweile ist die Verfilmung von „Tage der Toten“ in Vorbereitung.


Als Schriftsteller ist Winslow unermüdlich. Jeden Morgen um fünf setzt er sich an den Schreibtisch. Mittags geht er joggen oder surfen, in Gedanken immer noch bei seinen Figuren, um dann am Nachmittag weiterzuschreiben. Dabei arbeitet er mindestens an zwei Büchern gleichzeitig. Schreibblockaden kennt er nicht, im Gegenteil: Winslow sagt von sich, dass er bislang nur fünf Tage durchgehalten habe, ohne zu schreiben.

Wie schon in seinen früheren Krimis führt Winslow auch in seiner neuen Reihe um Fahnder Frank Decker wieder schonungslos die Schattenseiten Amerikas vor. Deckers Mission ist es, Verschwundene aufzu­spüren und zurückzuholen. „Missing. New York“ heißt der erste Band der ­Serie, bei der Winslow erstmals aus der Ichperspektive erzählt: „Manche Leute verschwinden, weil sie es so wollen. Manche gehen verloren. Andere werden entführt. Viele von ihnen sind tot, einige sind noch am Leben. Aber alle brauchen sie einen, der nach ihnen sucht. Und der bin wohl ich.“

Frank Decker ist ein Mann mit einer Mission in einer Gesellschaft ohne Gewissen und Skrupel. Er sucht und findet Menschen, die vermisst werden, und übernimmt jene Fälle, vor denen Polizei und FBI kapitulieren. Der Ex-Marine, der im Irak gekämpft hat, kündigt seinen Job bei der Polizei von Lincoln, Nebraska, und begibt sich als Einzelkämpfer auf die Suche nach Vermissten. Mal arbeitet Decker mit den Behörden zusammen, mal ohne sie, öfter auch gegen sie. Ränge und Namen imponieren ihm wenig. Drohungen und Gewalt schätzt er nicht, aber er ist bereit, beides einzusetzen, wenn er es für nötig hält. Und immer ist es ein Kampf gegen die Uhr. Je mehr Zeit vergeht, desto schlechter stehen die Chancen, die Opfer noch lebend zu finden. Doch Decker gibt niemals auf. Hat er sich einmal in einen Fall verbissen, lässt er nicht locker, bis er ihn ­gelöst hat.

Die Intensität und Kompromisslosigkeit, mit der Winslows Ermittler seine Fahndungen vorantreibt, hat etwas Manisches. Kein Wunder, dass es um sein Privatleben nicht gut bestellt ist. Er ist ein Detektiv alter Schule, ein Einzelgänger, hart, unbestechlich und dabei empfindsam, was ihn in die Nähe von literarischen Vorgängern wie Philip Marlowe und Sam Spade rückt.

New York ist die erste Station des Asphaltcowboys Decker, den seine Vermisstenfahndungen in den folgenden Bänden quer durch die Vereinigten Staaten führen werden. Denn Decker ist nun mal ein besessener Kämpfer gegen das Unrecht, ein Getriebener auf seiner Suche nach Gerechtigkeit.