Bill Browder: RED NOTICE - Wie ich Putins Staatsfeind Nr. 1 wurde

„Putin scheut vor nichts zurück“

5. März 2015
Der amerikanische Investor Bill Browder muss um sein Leben fürchten, seit er in den Kampf gegen den Kreml und die dortige Korruption gezogen ist. Sein schockierender Erfahrungsbericht „Red Notice“ liest sich wie ein Politthriller.

Herr Browder, wie gefährlich leben Sie als „Putins Staatsfeind Nr. 1“?
Sehr gefährlich. Vor ein paar Jahren hat das russische Parlament ein Gesetz bewilligt, das es der Regierung nun erlaubt, Mordanschläge im Ausland zu verüben, um unliebsame Staatsfeinde zu beseitigen. Putin würde nicht zögern, von diesem Gesetz tatsächlich Gebrauch zu machen. Gerüchten zufolge hat er das sogar schon getan. Ich muss also damit rechnen, dass Putin versucht, mich eines Tages umzubringen.

Als Aktivist führen Sie eine weltweite Kampagne gegen Korruption und Menschenrechtsverletzungen in Russland. Auch Sie selbst haben als Investor in Moskau die Tyrannei von Putins Politik zu spüren bekommen. Was haben Sie erlebt?
2008 wurde mein russischer Anwalt und Freund Sergei Magnitsky von Putins Schergen gefoltert und ermordet, nachdem er gegen bestechliche russische Regierungsbeamte ausgesagt hatte. Nach dieser schrecklichen Tat bedachte die russische Regierung wie zum Hohn ausgerechnet jene Beamten mit höchsten staatlichen Ehren, die sich im Fall Magnitsky am meisten schuldig gemacht hatten. Und als ­hätten sie damit nicht schon genug Salz in die offene Wunde gestreut, stellten sie Sergei – einen toten Mann! – auch noch vor Gericht. Als Reaktion auf meinen öffentlichen Einspruch und die Aufforderung an den Westen, Sanktionen zu verhängen, schaltete die russische Regierung Interpol ein, um einen internationalen Haftbefehl gegen mich zu erwirken. Interpol lehnte dies ab. Kurz danach warnte mich das amerikanische ­Justizministerium: Den Mitarbeitern lagen Geheimdienstinformationen vor, die einen möglichen Anschlag der Russen auf mich bestätigten. Putin und sein Regime scheuen vor nichts zurück.

Welche ungeschriebenen Regeln muss man als ausländischer Unternehmer in Russland ein­halten?
→ Als Geschäftsmann in Russland hat man zwei Möglichkeiten. Man kann sich entweder gegen die dortigen korrupten Machenschaften zur Wehr setzen und so enden wie ich, mit einem zerschlagenen Unternehmen und des Landes verwiesen. Oder man wird Teil des kriminellen Systems. In diesem Fall nimmt man das Risiko in Kauf, im Westen strafrechtlich verfolgt zu werden. Daher rate ich jedem Unternehmer, Russland um jeden Preis fern zu bleiben.

Über Ihre Erfahrungen in Russland haben Sie nun ein Buch geschrieben. In „Red Notice“ bringen Sie auch die bestürzende Geschichte Ihres Anwalts Sergei Magnitsky an die Öffentlichkeit. Weil sie exemplarisch für ähnliche Schicksale ist?

→ Weil es mir das Herz bricht, dass er meinetwegen gestorben ist. Hätte er nicht für mich gearbeitet, würde er heute noch leben. Ich kann ihn nicht wieder lebendig machen, aber ich kann dafür kämpfen, dass ihm Gerechtigkeit widerfährt.

In „Red Notice“ schildern Sie eine brutale russische Realität. Es ist ein sehr ehrliches und persönliches Buch geworden. Das hat Sie noch angreifbarer gemacht.

Nicht unbedingt. Ja, ich stehe ganz oben auf Putins Hassliste. Der größte Wunschtraum seiner Häscher besteht darin, mich nach Russland zurückzubringen. Ich soll dasselbe Schicksal erleiden wie Sergei. Aber das Buch trägt eher zu meiner Sicherheit bei: Sollte mir etwas zustoßen, dann weiß die Welt wenigstens, wer der Schuldige ist.

Woher nehmen Sie den Mut für einen offenen Kampf gegen den Kreml?
Ich halte mich nicht für besonders mutig. Aber ich bin zornig und zutiefst aufgebracht. Der Mord an Sergei und die anschließende Vertuschung lässt mir keine andere Wahl, als an die Öffentlichkeit zu gehen. Würde ich stillschweigen, würde mich das Erlebte von innen vergiften.

Seit Sie 2005 zu „einer Gefahr für die nationale Sicherheit“ erklärt wurden, können Sie nicht mehr nach Russland einreisen. Bedauern Sie, dass Sie das Land, in dem Sie über zehn Jahre gelebt haben, wahrscheinlich nie mehr betreten dürfen?
Ja, ich vermisse meine Bekannten dort. Selten habe ich so anständige und kultivierte Menschen kennengelernt wie in Russland. Aber ich bin nicht ohne Hoffnung: Ich glaube, dass Putins Macht auf unsicherem Boden gebaut ist und in nicht allzu ferner Zukunft ins Wanken kommen wird. Je nachdem, wer dann an die Regierung kommt, kann ich eines Tages vielleicht zurückkehren.

Was wünschen Sie sich für das russische Volk?
140 Millionen Menschen in Russland gehen ehrlicher, harter Arbeit nach. Leider wird der erwirtschaftete nationale Wohlstand der Gemeinschaft gestohlen: von einer Minderheit von rund einer Million korrupten und kriminellen Menschen, die konspirativ die Macht an sich gerissen haben. Ich wünsche mir, dass dieses System möglichst bald endet – und die Bevölkerung wieder zur Normalität zurückkehren kann.