Dörte Hansen: ALTES LAND

"Jeden Tag ist der Himmel anders"

15. April 2015
Wohin gehöre ich? Um diese Frage kreist Dörte Hansens Roman, der von der Suche nach Heimat, von Scheitern und Neubeginn erzählt. Eine Begegnung mit der Autorin, die im Alten Land ihr Glück gefunden hat.

Dörte Hansen geht fast täglich auf den Deich. Vor zehn Jahren ist die Autorin mit ihrer Familie aus dem Hamburger Szeneviertel Ottensen ins Alte Land südlich der Elbe gezogen, ein Obstanbaugebiet unweit der Hansestadt, bekannt für Äpfel, Kirschen und stattliche Bauernhäuser.

„Auch wenn das Alte Land eine durchgeplante Naturlandschaft ist: Hier kann ich sehen, wie das Wetter ist, dass die Vögel zurückkommen, wann die ersten Schneeglöckchen blühen. Und jeden Tag ist der Himmel anders“, erzählt Hansen bei einer Tasse Kaffee in ihrer Wohnküche, von dort aus geht der Blick weit über die Apfelbaumreihen ihres Nachbarn. Ihren ersten Roman „Altes Land“, sagt Hansen, hätte sie in der Stadt niemals schreiben können – zu eng, zu verbaut, zu wenig Himmel sichtbar. Anders als auf dem Deich.

Die zierliche blonde Autorin spricht, wie sie schreibt: lebendig, warmherzig, norddeutsch. In ihrer Sprache liegt etwas Zupackendes, Bodenständiges, auch wenn es um die sanften Zwischentöne geht. Und immer wieder blitzt ein feiner Humor durch ihre Sätze. Zu Hause, bei ihrer Familie in Nordfriesland, wurde früher, in den 1960er und -70er Jahren, nur Plattdeutsch gesprochen; erst in der Grundschule begriff sie, dass es noch andere Sprachen gibt – und konnte nicht genug davon bekommen. Sie studierte Sprachen wie Gälisch, Finnisch oder Baskisch und promovierte anschließend in Linguistik. Den Wunsch, ein Buch zu schreiben, hatte sie bereits als Kind, leicht fällt ihr das Schreiben dennoch nicht: „Ehrlich gesagt ist es eine Tortur, wie beim Joggen. Ich liebe es, gejoggt zu haben. Ich liebe auch das Gefühl, geschrieben zu haben – und quäle mich dabei sehr.“

Suche nach Heimat

Hansens Debüt „Altes Land“ umfasst beide Lebenswelten der Autorin: Stadt und Land, Hamburg und das Obstanbaugebiet südlich davon. Kurz nach Erscheinen steht das Buch auf der „Spiegel“-Bestsellerliste und vom NDR wurde es zum „Buch des Monats März“ gewählt. Das freut die Autorin besonders, schließlich hat sie bis vor wenigen Jahren als Journalistin für den NDR gearbeitet. „Ich habe es geliebt, Geschichten über die Menschen aus dem Norden zu erzählen. Und immer gedacht, dass das, was ich mir ausdenke, nie so spannend sein kann wie die Menschen, über die ich als Reporterin berichte.“ Sie hat sich geirrt.

Ihr Roman erzählt auf berührende Weise von Flucht und der ­Suche nach Heimat, von Scheitern und Neubeginn, von zwei Frauen, die im richtigen Moment füreinander da sind: Vera und Anne. Vera, 1945 als Flüchtlingskind ins Alte Land gekommen und doch nie heimisch geworden, wohnt allein in einem der großen, alten Bauernhäuser, das sie zum Missfallen der Dorfgemeinschaft immer weiter verfallen lässt.

Anne ist Musiklehrerin in Hamburg, von dem Vater ihres Sohnes Leon hat sie sich getrennt, nun sucht sie Unterschlupf bei Vera. Die beiden Frauen nähern sich einander über das jahrhundertealte Haus an – und geben sich gegenseitig letztendlich etwas von dem, was sie aus ihrer persönlichen Geschichte heraus nicht haben: Heimat.

Das alte Land verändert sich

Hansen kennt sie selbst, die Suche nach einem Ort, an dem man sich heimisch fühlt. „Ich bin auf dem Land aufgewachsen, habe lange in der Stadt gelebt, jetzt bin ich wieder auf dem Land. Und denke auch jetzt wieder: Ja, es passt hier, aber irgendwas anderes ist da auch noch. Die Frage bleibt immer: Wo bin ich zugehörig?“ Heimat, so meint sie, müsse nicht räumlich verortet sein. „Heimat ist da, wo ich mich nicht mehr erklären muss.“

Auch das Alte Land verändert sich: Traditionen und klare Strukturen verschwinden, auch davon erzählt Hansen in ihrem Buch, von den stolzen, alten Bauernhäusern, die nach Jahrhunderten ihre Bedeutung verloren haben, zur Last werden, leer stehen. „Hier geht etwas zu Ende, das ist traurig“, sagt sie. Und doch auch ein guter Zeitpunkt, Neues zu beginnen.

Für Hansen ist das ihr zweites Buch, jeden Tag hat sie sich von 8 bis 12 Uhr ein Zeitfenster fürs Schreiben reserviert. Erst einmal will sie aber einen Moment innehalten. „Ich weiß, dass ich mit dem Erfolg meines ersten Romans ein echter Glückspilz bin. Das will ich auch wahrnehmen und genießen.“