Lori Nelson Spielman: NUR EINEN HORIZONT ENTFERNT

Das Wesentliche im Blick

10. Juni 2015
Die amerikanische Erfolgsautorin Lori Nelson Spielman weiß aus eigener Erfahrung, wie befreiend es ist zu verzeihen. Die Heldin ihres aktuellen Romans muss das erst noch lernen.

Dass sie nachtragend sein könnte oder gar unversöhnlich, kann man sich bei Bestsellerautorin Lori Nelson Spielman wirklich nicht vorstellen. Dazu ist sie viel zu freundlich, viel zu empathisch. Und auch sie selbst glaubt nicht so recht, dass sie etwa über Jahre einen Groll hegen oder gar den Kontakt abbrechen könnte zu einem nahen Menschen: „Vielleicht ist meine katholische Erziehung daran schuld oder meine Neigung, es allen recht machen zu wollen“, sagt sie ­augenzwinkernd. Deshalb fiel es ihr, wie sie erzählt, anfangs auch nicht ganz so leicht, sich in die Heldin ihres zweiten Romans „Nur einen Horizont entfernt“ hineinzuversetzen.

Hannah hat Erfolg als Moderatorin, ist mit Michael, dem attraktiven Bürgermeister von New Orleans, liiert, und beinahe glücklich. Bis sie wieder auf das Säckchen mit zwei Kieselsteinen stößt, das ihr von ­Fiona, einer ehemaligen Klassenkameradin, geschickt wurde. Einen der Steine, hieß es im beiliegenden Brief, solle sie an Fiona zurücksenden, als Zeichen, dass sie ihr das Mobbing während der Schulzeit verziehen habe. Mit dem anderen solle sie selbst jemanden um Verzeihung bitten.

Aber so sehr sich Hannah auch bemüht, sie kann ihrer ehemaligen Klassenkameradin nicht vergeben. Zu sehr erinnert sie Fiona an die Zeit in Detroit, als Hannahs Eltern sich trennten und schließlich der Vater das Sorgerecht für sie bekam. Ihre Mutter hätte um sie kämpfen müssen, sie hätte sich nach dem Vorfall mit ihrem neuen Freund Bob für die Tochter entscheiden müssen, davon ist Hannah überzeugt. Es war also richtig, die Mutter damals aus ihrem Leben zu streichen, oder etwa nicht? Nach und nach kommen Hannah Zweifel. Müsste nicht vielleicht sogar sie ihre Mutter um Verzeihung bitten? Wie war das damals eigentlich genau mit dem Freund der Mutter und hat Hannah vielleicht sogar selbst große Schuld auf sich geladen?

Der Wahrheit ins Auge sehen
Wie schon in ihrem ersten Roman „Morgen kommt ein neuer Himmel“, der ein spektakulärer internationaler Erfolg war und allein in Deutschland eine Million begeisterter Leser fand, gelingt es Lori Nelson Spielman wieder, eine fesselnde Geschichte zu erzählen, die wie nebenbei auch an die großen Fragen rührt. Fragen danach, wie wichtig es ist, der Wahrheit ins Auge zu sehen, auch wenn man sich davor fürchtet; und ob sich nicht selbst zum Gefangenen macht, wer nicht verzeihen kann.
Bis zum Erfolg ihres ersten Romans arbeitete Lori Nelson Spielman in einem Problembezirk als Lehrerin. Sie weiß nur zu gut, wie wichtig es ist, sich Schwierigkeiten zu stellen und mutig Entscheidungen zu fällen, wenn man die Kontrolle über das eigene Leben wiedergewinnen will. Behutsam und mit viel Gespür für die Eigenarten der menschlichen Psyche dirigiert sie ihre Heldin durch allerhand Turbulenzen und Unwägbarkeiten und öffnet ihr so nach und nach die Augen für das Wesentliche.

Und wie ist es Lori Nelson Spielman, die so sanft wirkt und in sich ruhend, schließlich gelungen, sich in die anfangs so zornige, unversöhnliche Hannah hineinzuversetzen? „Indem ich zornig wurde auf meinen eigenen Körper, meine Zellen, die mich so übel hintergangen hatten“, erklärt die Autorin mit erstaunlichem Humor. Während der Arbeit an ihrem Roman wurde Brustkrebs bei ihr diagnostiziert. „Und das, nachdem ich mich immer gesund ernährt, nie geraucht, stets brav Sport getrieben hatte“, sagt sie. „Ich wusste natürlich, dass ich genau wie meine Figuren verzeihen muss, um meinen Frieden machen und wieder nach vorn schauen zu können. Mittlerweile habe ich meinen ­verräterischen Zellen tatsächlich vergeben. Aber wie in jeder Beziehung, die einmal einen Knacks bekommen hat, ist ein Teil von mir noch immer auf der Hut.“

Lori Nelson Spielman ist eine dieser Autorinnen, denen es mühelos gelingt, Menschen für sich einzunehmen. Sie ist von gewinnender Freundlichkeit, spürbar lebenserfahren und hat einen wunderbaren Sinn für Humor. Das atmen auch ihre Romane. Vielleicht wächst diese Hannah mit all ihrem anfänglichen Groll dem Leser auch deshalb so ans Herz. Bereitwillig lernt er mit ihr zu vergeben, sich zu erinnern, um am Ende mehr als nur fast glücklich zu sein.