Jandy Nelson: ICH GEBE DIR DIE SONNE

Die Seele sehen

4. November 2016
Jandy Nelson hat mit ihrem zweiten Jugendroman „Ich gebe dir die Sonne“ eine smarte Geschichte über das Erwachsenwerden geschrieben. Im Mittelpunkt stehen die Kunstbegeisterten und kreativ begabten Zwillinge Noah und Jude. 

Stell dir vor, du bist 13 und verfügst über ein außer­gewöhnliches Talent: Du kannst die Seelen von Menschen sehen. Deine Mom hat eine riesige Sonnenblume als Seele, sie ist heiter, abergläubisch und wird jedes Jahr zur Professorin des Jahres gewählt. Dein Dad hingegen hat einen Teller mit ­Maden als Seele – so zeichnest du ihn zumindest heimlich in ­deinen Skizzenblock. Mit deiner Zwillingsschwester Jude teilst du dir eine Seele, obwohl sie ganz anders ist als du: lustig, ­beliebt, normal. Du selbst willst später auf das California Institute of the Arts gehen, zu den Freaks, die Kunst machen, weit weg von den Surfer-Boys, die dir gegen deinen Willen den Kopf verdrehen. Dass du schwul sein könntest, hat sich in der Klasse herumgesprochen, deine Spitznamen sind Homo, Pussy und Bubble. Aber du hältst dich sowieso lieber in der abstrakten Welt der Formen und Farben auf.

Wie viel Mut es braucht, der zu werden, der man ist, das erzählt die amerikanische Autorin Jandy Nelson souverän und locker, mit Witz und in einer lässigen, wie mit einem Airbrush- Pinsel dynamisch entworfenen Sprache. Auf Noahs Ich-Erzählung im ersten Teil des Romans folgt Judes Bericht – und da nur beide Sichtweisen am Ende ein schillerndes Gesamtbild ergeben, bleibt die Geschichte bis zum Schluss bunt und spannend.