Oliver Ménard: FEDERSPIEL

Das Böse kehrt zurück

10. August 2015
Eine spurlos verschwundene Frau, eine Journalistin, die niemals aufgibt, und ein Serienmörder, der nach Jahrzehnten zurückkehrt: Mit „Federspiel“ ist Oliver Ménard ein bemerkenswertes Thrillerdebüt gelungen.

Ein Nylonstrumpf verbirgt sein Gesicht, die Hände stecken in hautfarbenen Gummihandschuhen. Seit Monaten hat er ­Sarah Wagner, eine junge TV-Moderatorin, durch ihr Dachfenster beobachtet, weiß, wann sie kommt, wann sie geht, mit wem sie Sex hat. Geduldig lauert er hinter dem Schornstein und wartet auf sein Opfer – in dieser Nacht ist seine Stunde gekommen. Es ist eine beklemmende Szene, mit der Oliver Ménard seinen Thriller „Federspiel“ eröffnet. Doch ist es auch realistisch, dass das Böse unerkannt über die Dächer Berlins kommen und jederzeit verschwinden kann? „Das funktioniert“, sagt der Autor, der dafür persönlich über die Hausdächer in seinem Kiez geklettert ist. „Ich wollte wissen, ob es möglich ist, sich von einem Dach aufs andere zu bewegen.“

Er müsse die Orte, die er beschreibt, gesehen haben, sagt Ménard, der als Fernsehjournalist sein Geld verdient. Glaubhaft, plausibel und spannend sollte sein erster Thriller sein; Plots mit fehlerhafter Logik, unwahrscheinlichen Zufällen und leblosen Typen sind ihm ein Graus. „Meine Figuren müssen atmen. Ich möchte das Gefühl haben, direkt neben ihnen zu stehen.“ So wie neben Chris­tine ­Le­nève, der toughen Reporterin, die zusammen mit ihrem Kollegen und Exfreund Albert die verschwundene Sarah aufspüren soll.

„Christine ist eine Getriebene, eine Frau, die niemals aufgibt, wenn sie einmal angebissen hat“, beschreibt Ménard seine Haupt­figur bei Tapas und Rotwein in einem kleinen mallorquinischen Lokal im Berliner Bötzowviertel. Bei ihren Nachforschungen kommt Christine auf die Spur eines Serienmörders, der schon in der DDR sein Unwesen getrieben und nun offenbar wieder zugeschlagen hat. Seine Markenzeichen: Er hinterlässt weiße Federn und verbrennt seine Opfer, nachdem er sie misshandelt und gefoltert hat.

Auch diese Idee hat einen realen Kern: „Vor Jahrzehnten gab es in Brandenburg nach dem Fall der Mauer einen Mord, bei dem die Leiche auf bizarre Art geschändet wurde“, erzählt der 49-jährige ­Autor. „Die Polizei glaubte damals, der Täter kommt aus dem Osten und hat nicht zum ersten Mal zugeschlagen. Dieses Verbrechen und die Tatsache, dass über mögliche vorherige Fälle so gut wie keine Akten mehr existieren, weil es in der DDR keine Serienmörder geben durfte, haben mich zu dem Gedanken verführt: Was wäre, wenn solch ein Mörder heute wieder zuschlägt?“

Für den gebürtigen West-Berliner Ménard kam als Schauplatz kein anderer Ort als Berlin infrage. „Die Stadt ist ein Moloch. Schmutzig, anstrengend, voll ­faszinierender Kontraste.“ Die gab es auch am Prenzlauer Berg, als Ménard vor 13 Jahren hierherzog. Doch vom sozial durchmischten Viertel und den schrägen Typen von einst sei, wie er mit einem Blick aus dem Fenster konstatiert, wenig übrig geblieben. Ménard entfloh der Enge der damaligen Mauerstadt immer wieder, studierte in Madrid und New York. Doch bis heute ist seine Heimat Berlin geblieben, wo er seit 2007 für das Sat.1-Frühstücksfernsehen arbeitet: „Ein anstrengender, aber enorm spannender Job.“

STRENGE SCHREIBDISZIPLIN
Es war also kein Mangel an Arbeit, der ihn dazu brachte, einen Roman zu schreiben. „Ein Journalist schreibt immer und an jedem Ort“, sagt er. Seit seinem 20. Lebensjahr notiert sich Ménard in kleinen schwarzen Notizbüchern skurrile Begegnungen, seltsame Typen und absurde Situationen. 32 Notizbücher liegen übereinandergestapelt auf seinem Schreibtisch, einiges davon findet sich auch in „Federspiel“ wieder. „Wenn ich abends beim Essen am Tisch mein Notizbuch rauskrame, zucken meine Freunde immer zusammen.“

Vom Schreiben kann Ménard nicht mehr lassen, wobei er einem strengen Ritual folgt. „Dienstag und Samstag sind meine Schreibtage, die sind mir absolut heilig.“ Auf maximal zehn Seiten kommt er pro Woche, danach ist Schluss. „Noch so ein Ritual“, meint Ménard, der neben seiner Vorliebe für alte Sachen – etwa sein geliebtes Sofa aus den 1920er Jahren oder seine 23 Jahre alten Schuhe, die er immer wieder neu besohlen lässt – noch eine weitere kuriose Eigenart pflegt: „Wenn ich ein Buch anfange, lese ich die letzten drei Seiten immer zuerst.“

Für die Lektüre von Krimis vielleicht nicht immer das optimale Rezept, wer es bei „Federspiel“ probiert, würde immerhin erfahren, dass es mit dem Journalisten-Ermittlerduo weitergehen könnte. Und tatsächlich hat Oliver Ménard Band zwei schon geschrieben. Man darf gespannt sein.