Katharina Herzog, Nathalie Kranich (Ill.): FINSTERWELT

Ein mächtiger Fluch

24. März 2023

Man stelle sich vor, die Geschichten der Brüder Grimm würden ein ­böses Ende nehmen – mit fatalen Folgen für die Märchenheld:innen. Erfolgsautorin Katharina Herzog entfesselt in ihrem ersten ­Kinderbuch eine fantastische Geschichte um ein Mädchen, das die Märchenwelt wieder ins Lot zu bringen versucht. 

Es ist kein Zuckerschlecken, auf eine Schule für Nachfahren aus berühmten Märchenfamilien zu gehen, wenn du selbst vom Froschkönig abstammst.“ In diesem ersten Satz lag die Grundidee zu Katharina Herzogs zauberhafter „Finsterwelt”-­Trilogie. Im Mittelpunkt steht die zwölfjährige Leonie, die sich oft unkontrolliert in einen Frosch verwandelt und ihre Unsicherheit gern hinter einer kratzbürstigen Fassade versteckt. Im Dornröscheninternat lernt sie andere Kinder aus Märchen­familien kennen, wie Marle aus der Rotkäppchen-Sippe oder den gut aussehenden Tristan, von dem niemand so recht weiß, aus welcher Familie er eigentlich stammt. Eines Tages findet ­Leonie ein Buch mit dem Titel „Finsterwelt – Das wahre Märchen­buch“, verfasst von Ferdinand Grimm. Als sie es öffnet, schlägt der Fluch des unbekannten, dritten Grimm-Bruders zu und alles verändert sich. Das Schlimmste ist: Leonies beste Freundin Marle scheint es auf einmal nie gegeben zu haben. Das muss schleunigst rückgängig gemacht werden, und so begeben sich Leonie und Tristan auf eine gefährliche Reise.

Katharina Herzog, bekannt als Autorin äußerst erfolgreicher Liebesromane, hat eine herrlich märchenhafte Internatsgeschichte geschrieben, in der es um Freundschaft geht, um Selbstwirksamkeit und um die Frage, wer man eigentlich sein möchte. 

LB

Katharina Herzog, Nathalie Kranich (Ill.)
Finsterwelt

Das verbotene Buch. Bd. 1.
Dressler, 256 S., 14,– €, ab 10,
ISBN 978-3-7513-0086-5

Leseprobe

Ein weiteres Auto fuhr auf den Schlosshof. Es war eine schwarze Limousine mit getönten Scheiben. Sie bremste so rasant neben ihnen ab, dass Kies spritzte und Papa ­einen Satz zur Seite machte. Ein Chauffeur sprang aus dem Wagen, lief einmal um ihn herum und hielt ­einem rundlichen Mädchen mit roten Korkenzieherlocken die Tür auf.
Dornröschen hatte ihren großen Auftritt! Leonie verzog das Gesicht. Rosa bildete sich ganz schön viel darauf ein, dass sich die Schule im früheren Stammsitz ihrer Familie befand und sie als Einzige von allen Schülern von einem Chauffeur hergebracht wurde. Leonie ließ sich zurück in die Manteltasche plumpsen. In diesem Zustand durfte Rosa sie auf gar keinen Fall sehen. 
Leonie musste daran denken, wie sie sich das erste Mal verwandelt hatte. Es war vor neun Monaten gewesen, auf der Party zu ihrem zwölften Geburtstag. Sie hatten Flaschendrehen gespielt. 
„Auf wen die Flasche als Nächstes zeigt, der muss Leonie küssen“, hatte ihre Freundin Santje mit einem breiten Grinsen gesagt. 
Leonie war immer noch nicht sicher, ob nicht schon Magie im Spiel gewesen war, als die sich drehende Flasche von all den zwölf Gästen, die sie hatte einladen dürfen, ausgerechnet vor Niklas anhielt. Seit dem Kindergarten war sie in den Jungen mit den vielen Sommersprossen im Gesicht verliebt.
„Bäh, nein!“, hätten sicher die meisten Jungs an seiner Stelle gesagt. Aber so war Niklas nicht. Er war aufgestanden und zu ihr rübergekommen. Leonie wusste noch gut, dass ihr Herz so schnell geschlagen hatte, dass sie sich sicher gewesen war, dass es gleich aus ihrem Brustkorb hüpfen würde – und dass sie überlegt hatte, wann sie die Augen schließen sollte. Schon vorher oder erst, wenn Niklas’ Lippen ihre berühren würden? Doch dazu war es nicht gekommen (...)
Noch nie hatte sie ihre Freunde, auch Niklas nicht, so laut schreien gehört. Nur Papas Gedächtnisverlustzauber hatte verhindert, dass die ganze Sache in einer noch größeren Katastrophe geendet hatte. (…)
„Wer ist denn der Junge, der bei Blanche ist?“, fragte Papa.
Ein Junge war bei Blanche! Das musste Robin sein. Aber den kannte Papa doch. Nun zog Leonie sich doch wieder ein Stück nach oben und lugte über den Rand der Manteltasche. 
Nein! Das war nicht Robin. Der Rapunzelnachfahre hatte zwar auch brünette Haare, doch er war ein gutes Stück kleiner. Robin war auch der Spaßvogel in ihrer Klasse. Nie um einen Spruch verlegen und immer am Lachen. Der Gesichtsausdruck dieses Jungen wirkte gelangweilt und ziemlich herablassend. Er hatte einen langen, dunklen Mantel an, wie ihn sonst nur Erwachsene trugen, und die Haut seines herzförmigen Gesichts war auffallend blass. Seine Augen leuchteten in einem so intensiven Blau, dass Leonie es sogar aus ihrer Froschperspektive erkennen konnte.

Über die Autorin

Für „Finsterwelt“, ihr erstes Kinderbuchprojekt, hat die „­Spiegel“-Bestsellerautorin Katharina Herzog die ­Märchenstraße bereist und ist in die ­faszinierende Welt der Märchen eingetaucht.