Andreas Storm: DAS NEUNTE GEMÄLDE

Explosive Wahrheit

25. August 2022

Ein verschollenes Gemälde, ein Toter in einem Bonner Hotel und Ermittler Lennard Lomberg, der es mit skrupellosen Gegnern zu tun bekommt: Andreas Storms „Das neunte Gemälde“ erzählt einen packenden Kriminalfall, der in die Abgründe der europäischen Geschichte führt.

Lennard Lomberg führt ein unaufgeregtes Leben als Kunstsachverständiger. Im Auftrag einer mysteriösen Stiftung soll er die Rückgabe eines in der NS-Zeit enteigneten, später verschollenen Gemäldes organisieren. Doch sein Kontakt­mann wird tot aufgefunden, und das Bild ist verschwunden. Lomberg gerät unter Verdacht und setzt alles daran, es wiederzufinden. Wir haben mit Andreas Storm über seinen Roman gesprochen.

 „Das neunte Gemälde“ ist ein packender Kriminalfall und gleichzeitig eine rasante Zeitreise durch die europäische Geschichte. Welche persönliche Verbindung hat Ihr Protagonist Lennard Lomberg zu dem Fall?
Als Doktorand hatte Lomberg Aufsehen mit einer kritischen Studie über den NS-Kunstraub und dessen Wiedergutmachung in der BRD erregt. Darüber kam es zum Bruch mit seinem Vater, einem hohen Staatsbeamten in den 60er bis 80er Jahren. Die wahren Hintergründe, die diesen Konflikt heraufbeschworen hatten, lagen immer im Dunkeln. Früh merkt Lomberg, dass ihn die Suche nach dem „Neunten Gemälde“ zu ebendiesem dunklen Geheimnis seines Vaters führen wird. Insoweit agiert Lomberg nicht zuletzt in eigener Mission. 

Wie sind Sie auf die Idee zu Ihrem Krimi gekommen?
Auf der Suche nach einem kriminalistischen Sujet, das sich mit einem politisch-geschichtlichen Ansatz verbinden könnte, stieß ich eher zufällig auf einen Artikel über die Bilderverbrennung der Nazis am Pariser Jeu de Paume im Jahr 1943. Ich habe gleich gespürt, dass sich die damit verbindenden Mythen und Deutungsdebatten hervorragend eigneten, um einen fiktionalen Krimi auf der Basis historischer Tatsachen zu schreiben.  

Schlummerte in Ihnen denn schon länger der Wunsch, einen Krimi zu schreiben?
Ja, sehr lange sogar. Aber ich habe mir immer gesagt, dass es schon genügend Bücher und Autoren gibt und ich mich erst in diese Liste einreihen will, wenn ich eine Geschichte erzählen kann, von der ich restlos überzeugt bin. Der erwähnte Zeitungsartikel war in diesem Sinn der zündende Funke. Je tiefer ich in die Thematik eingestiegen bin, desto stärker wurde ihr Sog und der Drang, diesen Krimi zu schreiben. Und die Überzeugung, meine Geschichte gefunden zu haben!

„Das neunte Gemälde“ ist der Auftakt zu einer Krimireihe mit Lennard Lomberg. Worum geht es im zweiten Band?
Der Titel steht schon fest: „Die Triade von Madrid“. Es geht um die historischen Verwerfungen des Spanischen Bürgerkriegs, die Surrealisten-Bewegung der 20er Jahre und die unheilvollen Allianzen zwischen der Franco-Diktatur und der jungen BRD. Sowie natürlich um eine persönliche Verbindung Lennard Lombergs zu einem geheimnisvollen Kunstwerk. 

Interview: Wolf Beetz

Über den Autor

Andreas Storm, geboren 1964, ist lang­jähriger Geschäftsführer und Partner einer Kommunikationsagentur. „Das neunte Gemälde“ ist sein erster Roman und der Auftakt zu einer mehrteiligen Krimiserie um den Kunst­experten und Ermittler Lennard Lomberg. Andreas Storm lebt mit seiner Familie im Bergischen Land bei Köln.

Andreas Storm
Das neunte Gemälde

Kiepenheuer & Witsch, 
416 S., 17,– €,
ISBN 978-3-462-00388-8
 

Andreas Storm
Die Triade von Madrid

Kiepenheuer & Witsch, 
ISBN 978-3-462-00389-5

Andreas Storm
Das neunte Gemälde

Argon Verlag. 
Gelesen von Julian Mehne. 
12 Std., 20,– €,
ISBN 978-3-8398-1997-5
 

Was hat es mit Gilles Dupret auf sich, jenem dubiosen Anrufer, der Lennard Lomberg bedrängte und dann vermutlich ermordet  wurde? Auf einem Weingut in Südfrankreich treffen Lomberg und sein Freund und Mentor Peter Barrington den Kunstdetektiv Carl Deveraux, der mehr darüber weiß.

Leseprobe

Monatelang hatte sich Lomberg im Zuge seiner Doktorarbeit mit dem legendären Fanal gegen die sogenannte Entartete Kunst befasst und dabei nicht nur ungezählte Dokumente gesichtet, sondern auch persönliche Gespräche mit Augenzeugen geführt, die 1993, immerhin fünfzig Jahre nach den Ereignissen in Paris, noch am Leben waren. Görings Vasallen hatten am 27. Mai 1943 kolportierte sechshundert zeitgenössische Gemälde zu Propagandazwecken öffentlich verbrannt und damit auch einen Jahrzehnte währenden Kunsthistorikerstreit entfacht. In dessen Mittelpunkt stand die bis in die Gegenwart nicht abschließend beantwortete Frage, welche Kunstwerke seinerzeit tatsächlich ihr Ende in den Flammen vor dem Jeu de Paume fanden. Lomberg war in seinen Studien zu der Ansicht gelangt, dass es sich mit allergrößter Wahrscheinlichkeit um ein inszeniertes Spektakel gehandelt hatte, bei dem mitnichten bedeutende Gegenwartskunst vernichtet wurde, sondern lediglich wertloser Zierrat. Wohl wissend, dass einige jener Kollegen, die genau das Gegenteil behaupteten, durchaus für seriöse Arbeit bekannt waren.

Sechshundert Bilder im Feuer. Eine kunsthistorische Tragödie der Extraklasse, sagen die einen. Eine der größten Verarschungen aller Zeiten, sagen die anderen.

Das neunte Gemälde


„Im Prinzip bin ich ganz bei Ihnen, Lenn. Allerdings gibt es schon länger die Vermutung, dass sich die Deutschen damals selbst ausgetrickst haben. Dass ­neben dem Haufen wertloser Ölschinken nämlich aus Versehen auch ein paar ganz außerordentlich bedeutende Gemälde verbrannt wurden.“ 
„Diese These kenne ich natürlich auch. Es hat nur nie einen Beweis dafür gegeben. Deshalb war diese 
sogenannte These für mich nie mehr als ein Gerücht.“
„Wenn Dupret nicht total übergeschnappt war, müssen wir diesem Gerücht womöglich doch eine Chance geben, Gentlemen. Er stellte nämlich die Behauptung auf, dass im Jeu de Paume tatsächlich etwas gründlich schiefgelaufen ist. Eine ganze Reihe von wertvollen Objekten aus einer Privatsammlung sei damals plötzlich verschwunden. Namen nannte er nicht. Nur, dass es sich um neun Gemälde handelte, die – und jetzt kommt es: irrtümlicherweise im Feuer landeten. Weil nämlich irgendein schlafmütziger Wachmann sie in einen falschen Lagerraum gebracht hatte. Und zwar in genau jenen Lagerraum, in dem der ganze Mist untergebracht war, der am Tag darauf bei ­Görings Flammenspektakel draufging.“
„Und was sagt uns das jetzt?“, warf Lomberg wenig beeindruckt ein.
„Die Geschichte geht noch etwas weiter, Lenn.“ ­Deveraux war aufgestanden, griff nach einem herumliegenden Holzscheit und warf ihn ins Kaminfeuer. An den Sims gelehnt, nahm er einen Schluck von seinem Calvados und ergriff wieder das Wort. „Das eigentlich Interessante ist der zweite Teil von Duprets Geschichte. Die besagten neun Bilder sollen nämlich nur zwei Tage vor der Verbrennungsaktion von der Kunstschutztruppe der Militärverwaltung im Jeu de Paume abgeholt und am Tag darauf wieder dorthin zurückgebracht worden sein.“
„Geht die Geschichte noch weiter oder stehe ich auf der Leitung?“
„Sie geht noch weiter. Die Bilder wurden ausgetauscht. Wenn Duprets Geschichte stimmt, hieße das, dass die Bilder vom Kunstschutz entwendet wurden und durch andere, vermutlich wertlose ersetzt wurden.“
Peter schaltete sich ein: „Verstehe. Die Rosenberg-Leute im Jeu de Paume haben den Coup der Militärverwaltung nicht bemerkt, dann haben sie ihre Bilder verbrannt und als sie irgendwann feststellten, dass in der wertvollen Privatsammlung etwas fehlte, mussten sie davon ausgehen, dass sie versehentlich genau diese Bilder vernichtet haben. Weil der Wachmann geschlafen hat.“
„Exakt, Peter. Besser hätte ich es nicht erklären können. Und in der Konsequenz wurden die Bilder aus dem Bestand ausgebucht und hatten somit offiziell aufgehört zu existieren. Sicher ahnen die Herren schon, worauf das nun hinausläuft?“ Barrington und Lomberg nickten.
„So ist es. Eines der neun Bilder ist angeblich jenes, welches diese sogenannte Stiftung, die so gerne im Verborgenen bleiben möchte, jetzt zurückgeben will. Das jedenfalls behauptete Dupret.“
Peter überließ Lomberg mit einer knappen Geste das Wort, der sich aber auch erst einen Moment sammeln musste. 
„Also wollte Ihnen Dupret weismachen, dass sich die Nazis selbst beklaut haben?“, schloss Lomberg schließlich, nach außen hin immer noch betont skeptisch, aber insgeheim schon leicht elektrisiert.
„Sie müssen bedenken, Lenn, Nazi war nicht gleich Nazi. Es gab 1943 ganz sicher ein paar Deutsche in Paris, die schon mal für die Zeit danach vorsorgen wollten. Und dabei nicht mehr unbedingt vom Endsieg ausgingen. Und dass es solche Leute auch beim Kunstschutz beziehungsweise in der Militärverwaltung gegeben hat, ist plausibel. Dort gab ja die Wehrmacht den Ton an, nicht die Partei.“
„Das ist doch wie im Film!“, kam es aus Peters Ecke, begleitet von einem schallenden Gelächter. „Das kann sich doch kein Mensch mal so eben ausdenken! Wenn das erst der Appetizer war, bin ich gespannt, wie es mit der Hauptspeise weitergeht.“
„Mit der Hauptspeise kann ich nicht dienen, Gentlemen. Aber einen Zwischengang gäbe es noch. Dupret hat uns zumindest noch ein ziemlich spektakuläres Detail serviert.“
„Wir sind ganz heiß auf Details.“
Lomberg nickte und schwieg.
„Wie wir alle wissen, haben es die Besatzungsmächte bei der Entnazifizierung ja nicht gerade übertrieben.“
„Gewiss nicht“, bemerkte Lomberg giftig. „Und wir Deutsche waren auch nicht so besonders eifrig beim Ausmisten des Stalls.“