SPANNUNG

Partners in Crime

21. April 2023

Die Hamburger Jan Jepsen und Kester Schlenz lassen im „Bojenmann“ einen Serienkiller mit Gotteskomplex auf die Hansestadt los. Der erste gemeinsame Roman der Autoren ist im besten Sinne ­un­angestrengt – weil es ihnen gelingt, ihre Figuren und Themen ernster zu nehmen als sich selbst. Ein Interview mit dem Autorenteam.

Nachdem ein seltsamerweise als Statue präparierter ­Toter auftaucht, jagen Kommissar Thies Knudsen und sein Freund, der pensionierte Lotse Oke Andersen, nicht nur einen unberechenbaren Mörder, sondern blicken auch hinter die Kulissen einer industrialisierten und entmenschlichenden Schifffahrt. So bizarr es dabei im „Bojenmann“ über weite Strecken zugeht: Die Entstehungs­geschichte könnte man sich kaum harmonischer ausdenken. Sie begann – wie sich das für einen düsteren Krimi gehört – im Epizentrum des Nordic Noir, in Skandinavien. Genauer: im norwegischen, damals tief verschneiten Örtchen Geilo, wo sich die Sonne im Winter nur mühsam für ein paar Stunden über den Horizont quält. In Geilo trafen die beiden Nordlichter Jan Jepsen und Kester Schlenz für eine Reisereportage zum ersten Mal aufeinander – Schlenz als Redakteur, Jepsen als Fotograf.

"Hätte auch schiefgehen können“, sagt Jepsen rückblickend. Warum denn? 

Jepsen: Wir hatten uns erst auf der Fähre kennengelernt, und dann war die ganze Zeit schlechtes Wetter. Für die Fotos brauchten wir aber Sonne. Als sie endlich schien, habe ich Familie Schlenz deshalb samt Kindern auf eine viel zu lange Tour mitgeschleift, weil ich mich bei der Kilometerangabe vertan hatte. Die waren völlig fertig.
Schlenz: Da war ich echt sauer.
Jepsen: Erstaunlich, dass wir danach trotzdem Freunde wurden. 
Schlenz: Wir hatten ja sonst Spaß. Wir haben uns die Zuständigkeiten schon damals gut aufgeteilt – Jan war der coole Typ, der Globetrotter und Segler mit Bart, während ich immer hektisch rumrannte und Sorge hatte, dass die Kinder frieren, wenn sie vom Schlitten fallen.
 

Zurück im Alltag, verloren sich Schlenz und Jepsen nie wieder ganz aus den Augen. Bis sie ihre Idee, gemeinsam zu schreiben, in die Tat umsetzten, dauerte es allerdings noch mehr als 20 Jahre. Schlenz wechselte als Kultur-Ressortleiter zum „Stern“, Jepsen bereiste schreibend und fotografierend die Welt. „Jan kam zum Mittagessen oft in die Kantine rüber“, sagt Schlenz. Irgendwann sinnierten beide über die „Bojenmann“-Statue, die ganz real vor dem Fenster von Jepsens Wohnung in der ehemaligen Hamburger Lotsensiedlung Övelgönne auf der Elbe schaukelt. Was passieren könnte, wenn die jemand austauschte ...? Schlenz schickte seinem Freund fünf Seiten. Er bekam 15 zurück. Im April erscheinen nun 320 Seiten – als erster Teil der Knudsen-Andersen-Serie. Dass sich die beiden Autoren ausgerechnet für ­einen Kriminal­roman entschieden, passte zu ihrer Idee vom gemeinsamen Arbeiten. 

Vier Gehirnhälften morden einfach besser als zwei. 

Jan Jepsen über die Zusammenarbeit mit Kester Schlenz

Jepsen: Ich schreibe sonst immer allein. Aber ein Krimi ist per se eine konstruierte Handlung. Da ist es hilfreich, sich auszutauschen. Wenn wir keine Flatrates hätten, wären unsere Telefonrechnungen enorm. Das ist wie eine Jam-Session mit Worten. Vier Gehirnhälften morden einfach besser als zwei. 
Schlenz: Es ist gut, dass uns niemand zuhört, wenn Jan morgens anruft und wir überlegen, wie tief Harpunen in den Körper eindringen oder wie schnell jemand im Schlick erstickt. 

Das Tor zur Welt, so wird schnell klar, öffnet im „Bojenmann“ auch immer das Tor zur Hölle, wo wirtschaftliche Interessen mehr zählen als Mensch und Natur.

Kommt man sich beim Schreiben nicht gegenseitig in die Quere? 
Schlenz: Wir haben unterschiedliche Schwerpunkte. Jan kann 20 Seiten darüber schreiben, wie einer im Sonnenaufgang an der Elbe entlanggeht und auf den Hafen guckt. Ich bin eher der, der fragt, wie es danach weitergeht. Oder der sagt: Der kann da jetzt gar nicht langgehen, weil in der Pa­rallelhandlung noch Nacht ist.
Jepsen: Kester verwaltet das Masterdokument. Das macht er schon, weil er weiß, dass für mich nie etwas fertig ist, und er einen Horror davor hat, dass ich alles noch mal umschreibe, wie es bei Texten, für die ich komplett allein verantwortlich bin, der Fall wäre. Deshalb bekomme ich das große Ganze erst zum Schluss zu sehen.
Schlenz: So zu arbeiten, setzt viel Vertrauen voraus. Wir gehen da sehr generös miteinander um.

Jepsen sagt über sich selbst, er sei „größtenteils in Gummistiefeln“ in Hamburg Övelgönne aufgewachsen, wohin er nach seinen Reisereportagen bis heute zurückkehrt. Der gebürtige Kieler Schlenz lebt seit mehr als 45 Jahren in Hamburg. Der Roman spiegelt diese Nähe zum Schauplatz: Keiner der Protagonisten blickt mit touristisch verklärtem Blick auf die Stadt. Das Tor zur Welt, so wird schnell klar, öffnet im „Bojenmann“ auch immer das Tor zur Hölle, wo wirtschaftliche Interessen mehr zählen als Mensch und Natur. Nichts könnte dem pensionierten Lotsen Andersen ferner liegen, als einem überdimensionierten Kreuzfahrtschiff zuzuwinken, wenn er über dem Fall seines Freundes Knudsen brütet und pa­rallel seine persönliche Radikalisierung in Klimafragen erwägt. Jepsen und ­Andersen teilen in diesem Fall nicht nur den Wohnort, denn „von intakter Natur kann hier an der Unterelbe schon seit einem halben Jahrhundert nicht mehr die Rede sein“, sagt Jepsen. Dass die Autoren bei so viel autobiografischer Verbundenheit keine literarische Hafenhistorie geschrieben haben, sondern einen Serienmörder erfanden, hat mit ihrer Idee zu tun, Hamburg lieber zu zeigen als zu beschreiben.
 

Für mich ist der Krimi der moderne Gesellschafts­roman, der soziale Verwerfungen thematisiert und anspricht.

Jan Jepsen

Jepsen: Die Stadt ist eine Bühne, die viel hergibt. Sie ist das Tor zur weiten Welt – und bei uns auch das zur Unterwelt. Unsere Zielmaßgabe war es, das in allen Facetten darzustellen.
Schlenz: Natürlich haben wir einen besessenen Serientäter. Aber es liegt etwas darunter. Nur weil die Figurenkonstellation viel humoristisches Potenzial hat, ist es kein lustiger Lokalkrimi. Wir nehmen die Handlung und die damit verbundenen Themen schon ernst. Für mich ist der Krimi der moderne Gesellschaftsroman, der soziale Verwerfungen thematisiert und anspricht.
Jepsen: Ein Krimi ist eine Verpackung, in der man viel unterbringt. Das fand ich spannend. Im „Tatort“ zum Beispiel wird deutsche Lebenswirklichkeit von A bis Z abgebildet. Ähnlich machen wir das auch. Es geht nicht nur um schnöde Action.
Schlenz: Dass es auf der Handlungsebene um solche Taten geht, erlaubt es uns, reale Konflikte maximal zuzuspitzen und in einer anderen Deutlichkeit zu zeigen. Das haben wir nicht erfunden. Wollten wir auch nicht neu erfinden. Wir wollten die Bausteine, die das Genre bietet, kreativ nutzen und ein paar neue Aspekte einbringen.
 

Jan Jepsen, Kester Schlenz
Der Bojenmann

btb, 320 S., 16,– €,
ISBN 978-3-442-77088-5

Und was ist aus der Freundschaft geworden, seit bei jedem Essen gedanklich eine Schar Ganoven und das LKA mit am Tisch sitzen? Jepsen lacht. „Wir sind zu keiner reinen Schreib-Schicksalsgemeinschaft geworden“, versichert er. „Wir sind dadurch eher noch intensiver verbunden“, sagt Schlenz, seit zwei Jahren rede er mit niemandem so viel wie mit seinem Freund und Partner in Crime. „Ich rufe ständig mit Ideen an, dankenswerterweise schreibt Kester mit“, sagt Jepsen. Arbeitsteilung ist eben alles.

Interview: Katrin Freiburghaus

Jan Jepsen, 1962 geboren, ist Fotograf, Schriftsteller und Segler. Der gebürtige Hamburger schreibt und fotografiert Reisereportagen. Er veröffentlichte schon mehrere Romane.

Kester Schlenz, 1958 geboren, ist gebürtiger Kieler und Kulturredakteur beim „Stern“. Von ihm sind vor allem Sachbücher zu Familienthemen und Psychologie erschienen.