Kai Meyer: DIE SEITEN DER WELT

"Es ist ein Liebesbrief"

30. September 2014
In Kai Meyers neuem fantasievollen Roman dreht sich alles um die Welt der Bücher. Im Interview erzählt der Erfolgsautor von seiner Begeisterung für die Literatur und räumt augenzwinkernd ein, dass er am Schreibtisch ein ziemlicher Diktator ist.

„Die Seiten der Welt“ ist neben vielem anderen ein wunderbares Buch über Bücher. Was hat Sie an diesem Thema erzählerisch so gereizt?
Ich wollte schon lange ein Buch über Bücher schreiben. Zwei meiner ewigen Lieblingsromane sind Umberto Ecos „Das Foucaultsche Pendel“ und „Der Name der Rose“, echte Bücherbücher also. Diese Welt aus verstaubten Bibliotheken und fanatischen Sammlern fand ich seit jeher faszinierend, und ich habe mir überlegt, wie ich davon auf eine frische, noch nicht da gewesene Art erzählen kann. Eine der ersten Ideen war die der Bibliomanten – Menschen, die in Büchern geheime Seiten entdecken und lesen können.

Eine Bibliomantin ist auch Ihre Heldin, die 15-jährige Furia Salamandra Faerfax. Warum haben Sie sich für eine jugend­liche Hauptfigur entschieden?
Will man als Erzähler eine neue Welt erschaffen – auch wenn sie nur eine Abwandlung der uns bekannten ist –, dann tut man das am besten über eine Figur, die in diese Welt hineinwachsen muss. So kam ich auf Furia, und die Geheimnisse, die sich um ihre Familie und den Stammsitz in den Cotswolds ranken.

Furia wartet sehnlichst auf ihr Seelenbuch, durch das sie zur vollwertigen Bibliomantin wird. Als das Buch sie schließlich findet, ist sie mehr als überrascht.
 Ja, Furias Seelenbuch kann nicht nur sprechen, es ist auch vorlaut und rüpelhaft. Es flucht, hat einen Schnabel und frisst am liebsten Heiligenbildchen.

In „Die Seiten der Welt“ tummeln sich noch viele andere wundersame Wesen. Welche haben Sie selbst besonders ins Herz geschlossen?
Zum Beispiel die Origamis, kleine Papierkreaturen, die von ­Bibliomanten gezüchtet wurden, um den Staub von ihren Bücherregalen zu fressen. Das ist schiefgegangen. Sie haben sich unkontrolliert vermehrt, und nun bewegen sie sich in Schwärmen durch die endlose Bibliothek des Hauses Faerfax. Außerdem habe ich mich im Wald der toten Bücher sehr wohlgefühlt, wo aus zerstörten Büchern wieder Bäume wachsen. In ihrer Rinde kann man noch den Text erkennen, der einst auf den Seiten stand.

Gab es Figuren, die beim Schreiben auf einmal ein Eigenleben entwickelten?
Ein Eigenleben entwickeln sie bei mir meist nur in den Dialogen, eher selten in ihren Handlungen. Ich plane meine Romane sehr detailliert im Voraus und arbeite mit Exposés von 40, 50 Seiten Länge. Meine Geschichten sind in der Regel so komplex, dass ich spätestens beim Zusammenführen aller Handlungsfäden Probleme bekäme, wenn nicht jede Figur spurt und tut, was ich von ihr erwarte. Ich fürchte, da bin ich ein ziemlicher Diktator.

Bibliomanten lieben Bücher; wenn sie es nicht tun, verlieren sie ihre magischen Kräfte. Wie wichtig sind Bücher für Sie?
Ich lebe zwischen Büchern. Und auch für Bücher. Mein ganzer Alltag kreist um Bücher, die ich entweder selbst schreibe, lese oder – auch das – von einem Stapel auf den anderen schichte. Ich habe in meinem Haus eine Bibliothek, die mittlerweile drei Zimmer einnimmt. Nicht so groß wie die der Faerfax’, aber groß genug, dass ein paar staubfressende Origamis nicht schaden könnten.

Der Schriftsteller Siebenstern, mit dem Furia eine Brieffreundschaft über die Entfernung von zwei Jahrhunderten unterhält, ist als 17-Jähriger davon überzeugt, nie Autor werden zu wollen. Wie war das bei Ihnen?
Mit 17 wollte ich Regisseur werden. Zwar habe ich immer geschrieben, die erste Geschichte auf einer Schreibmaschine mit elf, aber zur Zeit meines Abiturs und kurz davor habe ich eher gehofft, irgendwann beim Film zu landen. Tatsächlich habe ich später auch mal für einige Jahre neben den Romanen Drehbücher geschrieben. Heute bin ich aber froh, dass ich gut von meinen Romanen leben kann. Das Filmgeschäft fand ich eher desillusionierend, ständig reden einem ein Dutzend Leute hinein. Angesichts der Kosten, die ein Film verursacht, ist das verständlich. Aber ich wollte das nicht mehr und habe mich dann wieder ganz auf die Romane konzentriert. Auch deshalb ist „Die Seiten der Welt“ ein Liebesbrief an die Bücher und an das Schreiben selbst. Besser als mit einem Roman kann ich diese Zuneigung nicht ausdrücken.