Karine Lambert: UND JETZT LASS UNS TANZEN

Die Magie des Lebens

5. April 2017
Hat die Liebe ein Ablaufdatum? Ist man irgendwann zu alt, um eine neue Partnerschaft einzugehen? Karine Lambert beantwortet diese Fragen in ihrem bezaubernden Roman „Und jetzt lass uns tanzen“ mit einem klaren Ja zur Liebe und zum Neuanfang.

Karine Lamberts Protagonisten haben die Jugend lange hinter sich gelassen: Die 78-jährige, seit Kurzem verwitwete Marguerite war 55 Jahre lang mit Henri verheiratet und an sein Schnarchen ebenso gewöhnt wie daran, seinen Entscheidungen widerspruchslos zu folgen. „Sie hatte sich stets würdevoll und vorbildlich verhalten. Brav, äußerst brav.“ 

Der 73-jährige Marcel hingegen führte mit seiner Jugendliebe Nora eine glückliche Ehe, bis Nora beim Schwimmen einen tödlichen Herz­infarkt erlitt. Marcel und Marguerite haben keine großen Erwartungen mehr an das Leben – bis sie einander bei einem Kuraufenthalt in den Pyre­näen begegnen und sich ineinander verlieben.

Die Figur der Marguerite ist inspiriert von einem realen Vorbild: „Die ­Mutter meines besten Freundes hatte nach 50 Jahren ihren Ehemann verloren“, erläutert Karine Lambert. „Sie war völlig verstört und hatte an nichts mehr Freude.“ Bis ein Jahr später ein neuer Mann in ihr Leben trat: „Plötzlich leuchteten ihre Augen wieder wie bei einem jungen ­Mädchen. Die Geschichte, die ich erzähle, ist nicht ihre Geschichte, aber ihre leuch­tenden Augen haben mich beim Schreiben begleitet.“ 

Dieses Leuchten ist im Roman spürbar, in der Begegnung zweier Menschen, die dem gegenwärtigen, auf Jugendlichkeit getrimmten Zeitgeist widersprechen. „Im Gegensatz zu afrikanischen oder asiatischen Gesellschaften, wo alte Menschen als Weise respektiert werden, schätzt man bei uns das Alter nicht“, bedauert Karine Lambert. „Wenn man im Lexikon das Wort ,alt‘ nachschlägt, findet man Worte wie ,verstaubt‘ oder ,überholt‘.“ 

Attribute, die auf ihre Figuren ganz und gar nicht zutreffen. Marcel reißt Marguerite mit seiner Abenteuerlust mit, er überredet sie zu einem Spontantrip nach Collioure, und sie lernt langsam, sich zu öffnen, Spaß zu haben und ihren eigenen Wünschen zu folgen, ohne Rücksicht auf ihren besorgten Sohn, der sie am liebsten in einem Heim unterbringen möchte.

Mit viel Geschick hat sich die Autorin in ihre Hauptfiguren hineinversetzt: „Ich höre zu, ich beobachte. Und dann erfinde ich.“ Dabei ist Karine Lambert vom Alter ihrer Protagonisten noch weit entfernt, blond, mit warmen Augen und einem kecken Lächeln. Wenn sie gerade nicht schreibt, arbeitet sie als Fotografin: „Beides ist eine Art des Beobachtens, eine Möglichkeit, das zu teilen, was mich berührt. Aber das Foto zeigt eine Emotion, die ich in einem Moment einfange. Das Schreiben erlaubt mir, viel länger dabeizubleiben.“ 

Gern arbeitet sie daheim, mit Blick auf den Garten, und lässt sich dabei von ihren Geschichten völlig vereinnahmen: „Wenn ich schreibe, bleibt das Bad schmutzig und die Kartoffeln verbrennen im Ofen. Und auch im realen Leben sind meine Figuren immer bei mir, bis ich fertig bin.“ Sie ist in Brüssel geboren, wo sie noch heute lebt, sie ist viel gereist, und mehr mag sie über sich nicht verraten. Fragen nach ihrer Familie übergeht sie mit französischem, pardon: belgischem Charme, lieber spricht sie über ihr Schreiben. Etwa darüber, dass „Und jetzt lass uns tanzen“ zwar ihr zweites veröffentlichtes Buch ist, ein weiterer fertig geschriebener Roman aber in einer verschlossenen Schublade ruht. Oder darüber, dass sie nun erstmals ins Deutsche übersetzt wurde: „Ich bin gespannt auf die Reaktionen der deutschen Leser. Sie können einen neuen Blickwinkel zum Thema einbringen.“ 

Denn dieses Thema, die Liebe im Alter, kennt keine Sprachen und keine Grenzen, und nicht umsonst hat Lambert ihrem Buch ein Zitat des Dichters Guillaume Apollinaire vorangestellt: „Il est grand temps de rallumer les étoiles“ – es ist höchste Zeit, die Sterne wieder zu entzünden. Genau das tun Marcel und Marguerite, und so ist Karine Lamberts Roman nicht nur unterhaltsam, sondern auch ein Appell der Autorin an jene, die glauben, zu alt für die Liebe zu sein: „Immer kann alles ganz plötzlich passieren, auch das Beste. Das ist die Magie des Lebens.“