Literarische Debüts

Vergangenes Verstehen

17. Oktober 2017
Egal ob es um staatliche Repression in der DDR oder im Iran, abwesende Eltern oder schlicht um alltägliche Kleinstniederlagen geht: Ohne Scheu zurückzublicken erhöht die Chance auf ein freieres Dasein. Vier eindrucksvolle Debüts. 

Wachtürme, Hundegebell, totgeschwiegene Erschossene – das Ostberliner Künstlerpaar Editha und Thomas muss sich eingestehen, dass das DDR-Sperrgebiet im Harz 1973 ein schlechter Ort ist, um Tochter Eli aufzuziehen. Ein Kind, zumal ein fantasievolles, lebt gefährlich in diesem erstickenden Kontrollklima, fügt sich kaum den  komplexen Regeln des Sagbaren. Mit viel archäologischer Neugier bringt Isabel Fargo Coles Debüt auch mystische Re­so­­nanz­bö­den zum Schwingen, ver­webt Berg­mann­ssagen kühn mit Honecker-Reden.

Plausibel, dass Alexander Kluge der Amerikanerin bescheinigt hat, Schicht für Schicht eine „unbekannte Welt, unter der Lava des üblichen Geredes“ freizu­legen. Noch vor der DDR ist bekanntlich das Schah-Regime Irans untergegangen – Négar Djavardi kennt es nur aus Jugendjahren. Inzwischen längst im Pariser Exil etabliert, hat die Schriftstellerin ihrem sympathi­schen Alter Ego verordnet, sich mit verdrängter Familiengeschichte zu befassen. Und das ist nicht die einzige Bürde, mit der Kimiâ – lesbisch und trotzdem erpicht, schwanger zu werden – klarzukommen verspricht. Sie, die sich als „das merkwürdige Resultat äußerer Umstände“ sieht, ist fest entschlossen, sich ihre Identität neu anzueignen, all die Lügen zu entwirren. Noch klarer autobiografisch hat Katharine Norbury, aufgewachsen bei Adoptiv­eltern, ihr Schreibprojekt angelegt. 

Ihr Buch „Die Fischtreppe“ schildert bewegend, wie sie eines Sommers mit ihrer Tochter loswandert, um einem Flusslauf vom Meer bis zur Quelle zu folgen, und so neben Trauer auch Unsicherheit überwindet. Dass unangenehme Gefühle erst das Salz in die Suppe des Lebens streuen, weiß der Poetry-Slammer George Watsky zur Genüge: ­Seine 13 coolen Stories enthüllen einige peinliche Niederlagen – höchst erfrischend in Zeiten der Selbst­opti­mie­rung, in denen ein Scheitern oft bloß als blamabel gilt.