Catherine Bailey: BIS WIR UNS WIEDERSEHEN

Odyssee durchs Kriegschaos

8. Oktober 2020

Es ist ein Geschichtskrimi voller Dramatik, Liebe und Tragödien: Catherine Bailey erzählt das Leben der Fey von Hassell, die von den Nazis verhaftet und von ihren Kindern getrennt wird. Nach dem Krieg macht sie sich auf die Suche. 

ine junge Frau gerät in die Mühlen eines gnadenlosen Regimes: Ihre Kinder werden verschleppt, sie selbst wird von ­einem Lager ins andere deportiert, den Tod ständig vor Augen und ohne zu wissen, ob sie ihre Familie wiedersehen wird. Was wie ein Abenteuerroman klingt, ist die wahre Geschichte der deutschen Diplomatentochter Fey von Hassell – detailgenau und spannend erzählt von der britischen Autorin Catherine Bailey.

1940 heiratet Fey von Hassell den italienischen Adeligen und ­Widerstandskämpfer Detalmo Pirzio-Biroli, lebt mit ihren Söhnen Corrado und Roberto in einem Palazzo bei Udine. Als Feys Vater, der Diplomat Ulrich von Hassell, nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 als Verschwörer hingerichtet wird, fällt Fey unter das Prinzip der Sippenhaft: Die SS holt sie und ihre Söhne ab, Corrado und Roberto kommen in ein Heim. Für Fey und andere Angehörige von Widerständlern beginnt eine finstere Odyssee durch das zusammenbrechende Deutschland: von Niederschle­si­en über die KZs Stutthof, Buchenwald und Dachau bis nach Südtirol. Fey überlebt und will nach ihrer Befreiung ihre Kinder finden, aber im Chaos nach Kriegsende erscheint dies hoffnungslos.

Packendes Geschichtspanorama
Autorin Catherine Bailey hat sich einen Namen als Dokumentarfilmerin gemacht; dieses ästhetische Können spiegelt sich auch in ihrer Prosa: Mit dramaturgischem Feingefühl erzählt sie von Feys Versuchen, ihr Landgut und ihre Arbeiter zu schützen, von un­vorstellbaren Gräueln in den KZs, von Feys Liebe zu Alexander von Stauffenberg, für den sie fast ihre Familie aufgegeben hätte – und davon, dass sie ihre Kinder schließlich wiederfindet. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts fasziniert Catherine Bailey, und seit sie ihre Karriere als Filmproduzentin zugunsten der Schriftstellerei zurückstellte, liefert sie einen Bestseller nach dem anderen ab. 

In ihrem neuen Buch beweist Bailey einmal mehr ihr Talent, am Beispiel eines Schicksals ein großes geschichtliches Panorama zu entwerfen. Sie nimmt uns mit in überfüllte Transportwaggons, in KZ-Baracken und in die Wirrnisse des untergehenden „Dritten Reichs“, berichtet vom NS-Widerstand und kommt ihrer Protagonistin gleichzeitig ganz nahe. 

Irene Binal

Catherine Bailey 
Bis wir uns wiedersehen

Eine Mutter, ihre geraubten Kinder und der Plan, Hitler umzubringen.  
wbg Theiss, 480 S., 28,– €, 
ISBN 978-3-8062-4218-8

Interview mit Corrado Pirzio-Biroli

Sie waren vier Jahre alt, als Sie und Ihr jüngerer Bruder 1944 durch die Gestapo gewaltsam von Ihrer Mutter getrennt wurden. Können Sie sich daran noch erinnern?
Ich kann mich sehr gut an den Moment erinnern, als wir ohne Vorwarnung entführt wurden. 
Sie täuschten uns mit dem Versprechen, dass es sich nur um ­einen Spaziergang handele. Aber ich verstand, dass dies eine Lüge war, um Aufsehen zu vermeiden. Deswegen schrie ich, als die SS uns die Hoteltreppe hinunterschleppte. Mein Geschrei muss laut genug gewesen sein, um dem Concierge des Hotels in Erinnerung zu bleiben, sodass er meiner Patentante Almuth, die mit ­meiner Großmutter nach dem Krieg in Innsbruck nach uns suchte, berichten konnte: Er hätte gehört, dass die SS uns in einem nah ­gelegenen Kinderheim unterbringen wollte.
 

Ihr Großvater Ulrich von Hassell wurde 1944 von den Nazis ermordet, Ihre Großmutter Ilse Malwine Karoline von 
Hassell (geb. von Tirpitz) starb erst 1982. Wie haben Sie sie in Erinnerung? 

Meine Erinnerung an sie beginnt mit meinem Eintritt in den Wartesaal unseres Kinderheims in Wiesenhof, nahe von Hall in Österreich. Ich erkannte Großmama sofort, wurde krebsrot und sagte, nach neun Monaten Haft, nur: „Können wir nun nach Hause gehen?“ Großmama war eine Weile lang wie unsere Mutter und las uns abends Kinderbücher vor, natürlich auf Deutsch. Anfangs war das für uns gar nicht so leicht, denn wir sprachen nunmehr nur Tirolerisch.

Catherine Bailey hat ein Buch über die Geschicke Ihrer Familie in der Nazizeit geschrieben. Wie fühlt es sich an, wenn über einen selbst geschrieben wird? 
Ich bin mit Catherines Buch sehr zufrieden und habe im ­Palazzo di Brazzà, in Brüssel und London stundenlang mit ihr über Geschichtsereignisse, Familien- und auch persönliche Erinnerungen diskutiert. In dieser Zeit habe ich selbst eine Biografie über meine Großeltern und Eltern geschrieben, die bald auf Französisch und – hoffentlich – auch auf Deutsch erscheinen wird.  DZ
 

Über die Autorin

Catherine Bailey ist eine britische Bestsellerautorin und Dokumentarfilmregisseurin. Für ihr neues Werk „Bis wir uns wiedersehen“ arbeitete sie eng mit der Familie der 2010 verstorbenen Fey von Hassell ­zusammen,  insbesondere mit dem ältesten Sohn Corrado. Die 2019 in Großbritannien erschienene Originalaussgabe bekam glänzende Kritiken u.a. in "The Guardian", "The Times" und im "Daily Telegraph".