Jonas Jonasson: DER MASSAI, DER IN SCHWEDEN ...

Der große Racheplan

23. November 2020

Komisch, verrückt und wunderbar hintersinnig: Jonas Jonassons Roman "Der Massai, der in Schweden noch eine Rechnung offen hatte" ist ein skurriler Clash der Kulturen und ein toller Lesespaß.  Hier gibt's eine Kostprobe. 

Victor hasst Menschen, Speisen und Kunst aus fremden Ländern. Aber der Einzelgänger aus dem Stockholmer Vorort liebt nationalromantische Gemälde und noch mehr das Geld. Victor dient sich bei dem Kunsthändler Alderheim hoch, heiratet dessen Tochter Jenny, nimmt den Namen des Galeristen an und hofft aufs Erbe. Dass Victors Besuche bei einer Edelprostituierten einen un­ehelichen, dunkelhäutigen Sohn zur Folge haben, passt schlecht. Als Kevin volljährig ist, fliegt Victor daher kurzerhand mit ihm nach Kenia und setzt ihn in der ­Savanne ab.

Hier lebt Ole Mbatian. Der Massai-Medizinmann hat je vier Töchter von zwei Frauen. Da kann er ­einen Sohn noch gut gebrauchen. Kevin lebt sich prima ein, flieht aber zurück nach Stockholm, als er beschnitten werden soll. In seinem alten Apartment lernt er Jenny Alderheim kennen. Beide verbindet der Hass auf Victor. Dass Kevin zwei möglicherweise millionenschwere Gemälde aus Afrika mitgebracht hat, beflügelt ihren Racheplan. 

Jonas Jonasson unterhält in seinem Roman „Der Massai, der in Schweden noch eine Rechnung offen hatte“ einmal mehr mit überwältigender Komik und einem skurrilen Clash der Kulturen. Der frühere Journalist und Medienberater, der mit seinem Debüt „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ einen Welterfolg feierte, bietet seinen Leserinnen und Lesern im neuen Buch erneut ein schwarzhumoriges Abenteuer, eine wunderbar verrückte Groteske der Extraklasse.   PMS

Jonas Jonasson
Der Massai, der in Schweden noch eine Rechnung offen hatte

Übersetzt von Astrid Arz. 
C. Bertelsmann, 400 S., 22,– €,
ISBN 978-3-570-10410-1

Victor hat ein Problem: Er muss seinen unehelichen Sohn Kevin loswerden, damit er endlich Jenny, die Tochter des Kunsthändlers Alderheim, heiraten und die Firma ihres Vaters übernehmen kann. Kevin arbeitet zwar für Victor, weiß aber nicht, dass er sein Sohn ist. Da hat Victor eine Idee. Lesen Sie hier einen Auszug aus dem fünften Kapitel!

Leseprobe

Hallo, Kevin. Wie ich sehe, gehen dir die Pizzen langsam aus!
„Hallo, Chef.“
Victor nickte zufrieden. Der Junge kannte die Regeln und hielt sich dran. Wohlerzogenes Bürschchen. Schwarz, aber immerhin wohlerzogen.
„Du wirst bald achtzehn.“
„Genau genommen heute.“
„Da schau her! Ich hab mir gedacht, wir beide könnten das nächste Woche mit einer Reise feiern. Es ist doch bestimmt doof, nie aus Bollmora rauszukommen.“
Reise, das hörte sich toll an. Obwohl es Kevin hier gefiel; und der Chef hatte ihm ja befohlen, sich von der Innenstadt fernzuhalten.
„Gut, ich sehe schon, du hast verstanden. Aber jedenfalls muss ich jetzt auf Dienstreise nach Nairobi. Möchtest du nicht mit? Dich dort ein bisschen umgucken.“
„Nairobi?“, sagte der Junge.
„Kenia“, sagte Victor.
In dem Moment beschlich Kevin eine erste Ahnung, dass da etwas war zwischen ihnen beiden, fast so, als ob der Chef noch mehr als nur der Chef wäre. Klar, er war schroff, bisweilen richtig unfreundlich, aber im innersten Kern? Sie würden gemeinsam auf Fernreise gehen. Zusammen die Welt entdecken. Zusammen sein. 
„Danke, Papa …“, rutschte es Kevin raus.
Nicht, weil er es tatsächlich für möglich hielt, aber in seinem Leben fehlte ihm halt so jemand.
„Sag nicht Papa zu mir!“

Es dauerte ein paar Tage, die Pizzakartons, die am meisten im Weg waren, zu entsorgen und alles mit Pass und Tickets zu regeln. Victor buchte einen Hin- und Rückflug in der Businessklasse für sich und einen Economy-Hinflug für Kevin.
Dann flunkerte er Jenny und ihrem mehr oder weniger senilen Vater vor, er müsse einen Abstecher nach London machen, um einen potenziellen Kunden zu bearbeiten.
„In ein paar Tagen bin ich wieder da“, sagte er. „So lange musst du den Laden schmeißen.“
„Aber …“, setzte Jenny an.
„Gut so. Küsschen.“

Wer wusste schon, zu welchem afrikanischen Land Kevin gehörte. Victor wählte das Reiseziel aus anderen Gründen: so viel Zivilisation, dass er selbst keinen Schaden nahm, von daher Kenia, nicht Somalia. Und wild genug, dass der Junge aufgeschmissen war, also kein Nationalpark mit nächster Bushaltestelle in fußläufiger Entfernung. In groben Zügen lief das – von Nairobi aus gesehen – auf fünfhundertfünfzig Kilometer ab in die Pampa hinaus.

***

Bislang hatte die Reise Kevins Hoffnungen enttäuscht. Im Flugzeug hatten sie das Pech gehabt, auf ganz verschiedenen Plätzen zu landen, sodass die Fantasien des Achtzehnjährigen geplatzt waren – von wegen Plaudereien über das Leben und die Zukunft. Einander kennenlernen. Und lieben.
Am Flughafen wartete ein Mietwagen, und Victor bot dem Jungen an, auf dem Beifahrersitz Platz zu nehmen. Wie einem Ebenbürtigen. Vielleicht war es jetzt so weit?
Der Junge wünschte sich, die Fahrt möge lange dauern, sie saßen ja nebeneinander.
„Wo fahren wir hin, Papa?“, fragte er.
„Sag nicht Papa zu mir, hab ich gesagt.“
Damit war das Gespräch beendet.

Der Chef schwieg hartnäckig, während er den Range Rover mithilfe des Navis in die richtige Richtung lenkte. Aber es ging einfach immer geradeaus, nach Westen.
Auch der Junge schwieg, geschlagene drei Stunden lang. Was gab es schon zu sagen? Irgendwann war er es dann doch leid.
„Kannst du nicht sagen, wo wir hinfahren? Ich bin neugierig.“
„Ständig dieses Gequengel. Genieß die Aussicht, verdammt.“
Aus der A104 wurde die B3, dann die C12. Die Straßen nahmen an Breite wie auch an Qualität ab. Als die Dämmerung hereinbrach, wurde aus dem Asphalt Schotter. Victor und der Junge befanden sich schon eine ganze Weile in der endlos weiten Savanne. Am Äquator geht die Dämmerung rasch in Stockfinsternis über. Und gerade, als es um sie her nur noch schwarz war, hielt Victor den Wagen an.
„Jetzt sind wir da.“
„Wo da?“
„Wo du hingehörst. Steig aus.“
Was Kevin auch tat, während Victor bei laufendem Motor am Steuer sitzen blieb. Er ließ den Jungen neben einer Akazie zurück und fuhr ein Stückchen weiter bis zu einer Stelle, an der er wenden konnte. Auf dem Rückweg ließ er das Seitenfenster zu einem Abschiedsgruß runterfahren.
„Nimm’s mir nicht übel. Hier draußen läuft sicher alles bestens für dich. Ich glaube, du hast das im Blut.“
„Aber Papa …“, sagte Kevin. 
„Scheiße, das gibt’s doch nicht“, sagte Victor und fuhr davon.
Der Junge war zurückgebracht, Auftrag erledigt. Für den Rest würde die Natur schon sorgen. Wer konnte Victor daraus schon einen Strick drehen?
Gut vierundzwanzig Stunden später stand er wieder in der Kunsthandlung. Um eine Reiseerfahrung reicher. Und ein Problem ärmer.
„Wie war es in London?“, wollte Jenny wissen.
„Heiß“, sagte Victor.
Es war der fünfundzwanzigste Februar.

***

Das Finanzamt weigerte sich, Kevin für tot zu erklären. Nachdem Victor sein Verschwinden bei der Polizei angezeigt hatte, verlangte das Amt von ihm, Formular 7695 auszufüllen, „Antrag auf Todeserklärung einer verschwundenen Person“. Danach wollten sie sich die Sache fünf Jahre lang überlegen. Fünf Jahre! Die Löwen dürften wohl kaum länger als fünf Minuten gebraucht haben. 
Aber alles andere ging nach Victors Plan. Der ewig untröstliche Witwer im ersten Stock hatte inzwischen das ganze Geschäft ihm und der Tochter überlassen, und Jenny hatte Victor ihr Jawort gegeben, nachdem er erst tief Luft geholt und ihr dann einen Heirats­antrag gemacht hatte. Ersteres, um seine Abneigung zu überwinden, nicht etwa aus Nervosität, denn sie gab eh nie Widerworte.

Über den Autor

Jonas Jonasson,  1961 im schwedischen Växjö geboren, schrieb nach dem Verkauf seiner Medien-Consulting-Firma den Roman "Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand". Das Buch wurde zunächst in Schweden und später weltweit zu einem Bestseller. "Der Massai, der in Schweden noch eine Rechnung offen hatte" ist sein fünfter Roman.