Ruth Kornberger: DIE SYMPHONIE DER STERNE

Die Kometenjägerin

24. November 2022

Im 18. Jahrhundert kämpft eine Wissenschaftlerin um Anerkennung für ihre Arbeit: Kenntnisreich und einfühlsam erzählt Ruth Kornberger in „Die Symphonie der Sterne“ die fast vergessene Geschichte der Astronomin Caroline Herschel. Unten können Sie in einer Leseprobe in den Roman hineinlesen!

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts geht ein Stern am musikalischen Himmel auf: Caroline Herschel begeistert als Sängerin im englischen Bath, eine Bühnenkarriere scheint vorgezeichnet. Aber Carolines Herz gehört nicht nur der Musik, sondern vor allem der Astronomie. Gemeinsam mit ihrem Bruder Wilhelm beobachtet sie jede Nacht den Himmel, sucht nach Sternen und Nebeln, legt Tabellen an, berechnet Umlaufbahnen. Aber ihre Arbeit bleibt weitgehend unbemerkt. Wilhelm ist es, der mit dem Bau immer größerer Teleskope Aufmerksamkeit erregt, nur er steht mit den Forschern der renommierten Royal Society in Kontakt, wo Frauen keinen Zutritt haben. „Wenn ich etwas entdecke“, klagt Caroline, „muss Wilhelm den Herren davon berichten.“ Aber die ehrgeizige junge Frau lässt sich nicht beirren – und dann stößt sie eines Nachts tatsächlich auf einen neuen Kometen. Zwar nennt man Carolines Entdeckung zunächst etwas abfällig den „Damenkometen“, aber als sie immer neue Himmelskörper aufspürt, wird die wissenschaftliche Welt langsam auf die Kometenjägerin aufmerksam.

Ruth Kornberger erzählt die weitgehend unbekannte Geschichte einer Frau, die sich nicht damit zufriedengeben will, bloß als Assistentin ihres Bruders gesehen zu werden. „Meine Lektorin hat mich auf Caroline Herschel aufmerksam gemacht“, erinnert sie sich, „und ich war überrascht, noch nie von ihr gehört zu haben.“ Also nahm sich Kornberger die Tagebücher von Caroline vor und war fasziniert: „Ich habe gemerkt, wie aufregend ihr Leben gewesen sein muss.“ Und das, obwohl ihr Bewegungsradius erstaunlich beschränkt war: „Sie hat mit den starken Teleskopen ihres Bruders Wilhelm weiter ins All geblickt als je ein Mensch zuvor, aber aus dem Dorf bei Windsor, in dem sie einen großen Teil ihres Lebens verbracht hat, ist sie jahrelang kaum herausgekommen.“

Ruth Kornberger
Die Symphonie der Sterne

C. Bertelsmann,
480 S., 22,– €, 
ISBN 978-3-570-10455-2

Das Geheimnis in Carolines Leben

Erst im Alter, nach Wilhelms Tod, kehrt Caroline widerwillig in ihre Geburtsstadt Hannover zurück, zur Familie ihres Bruders Dietrich, denn allein zu leben ist ihr als unverheiratete Frau unmöglich. Inzwischen ist sie selbst berühmt und die Klatschpresse lechzt nach intimen Details aus ihrem Leben. Die junge Agnes, die unbedingt Journalistin werden möchte, schleicht sich als Dienstmädchen bei Caroline ein und hofft auf pikante Enthüllungen. Caroline ist zurückhaltend, spricht nur über ihre Arbeit, aber Agnes gibt nicht auf und sie stößt tatsächlich auf ein wohl­gehütetes Geheimnis in Carolines Leben …

All dies erzählt Ruth Kornberger in einer schwungvollen und einfühlsamen Prosa, in der sie gekonnt historische Fakten und Fiktion verschmilzt. „Ich habe einige Lücken in ihren Tagebüchern ausgefüllt“, sagt sie. „Caroline hat die Aufzeichnungen über die zehn ereignisreichsten Jahre ihres Lebens vernichtet, aber es gibt Hinweise darauf, dass sie in einen Freund der Familie verliebt war. Das habe ich zu einer Affäre ausgeschmückt.“ Mit scharfem Blick und viel Empathie zeichnet sie das Bild einer Frau, die sich gegen die Konventionen ihrer Zeit stellt und ihrer Leidenschaft, der Astronomie, alles andere unterordnet – auch die Liebe. Und deren Anteil an der Arbeit ihres Bruders noch heute unterschätzt wird: „Er war Astronom des Königs, aber Caroline hat seine Beobachtungen verzeichnet und die astronomischen Berechnungen gemacht. Zwar hat sie die mathematischen Grundlagen dafür von Wilhelm gelernt, aber später war sie besser als er.“

Ihr Interesse für Geschichte hat Ruth Kornberger bereits mit ihrem ersten Roman über die Künstlerin Maria Sibylla Merian bewiesen. „Ich mag die Recherche“, meint sie. „Das ist ein bisschen wie eine Schatzsuche, bei der interessante Kleinigkeiten ans Licht kommen.“ Kleinigkeiten, die sie geschickt in ihre Romanhandlungen einbaut und so ein lebendiges Bild der Vergangenheit entstehen lässt. Sie erzählt von Carolines durchwachten Nächten am Teleskop, von ihrer Begeisterung für die Mathematik, von ihrer Angst, dass Wilhelm sich verloben könnte, denn wie soll sie allein weiterarbeiten? „Würde er heiraten, wäre sie abgeschnitten von den Gedanken anderer. Aber die zu kennen war wesentlich. Um komplizierte Dinge zu begreifen, brauchte es mehr als einen Kopf.“

All das ergibt einen Roman, der spannend ist und fesselnd, klug und eindrücklich, und der das große Verdienst für sich in Anspruch nehmen kann, eine bemerkenswerte Frauengestalt dem Vergessen entrissen zu haben.

Text: Irene Binal

Über die Autorin

Ruth Kornberger, geboren 1980 in ­Bremen, studierte Angewandte Medienwissenschaft in Ilmenau. Sie ist Mitglied der Autoren­kollektive Junge Literatur Mannheim und Qindie; ihre Kurzgeschichten sind in ­Literaturzeitschriften und Anthologien erschienen. Ihr erster ­Roman, „Frau Merian und die Wunder der Welt“, war auf Anhieb ein Bestseller. Ruth Kornberger lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Weinheim.

Leseprobe

Caroline Herschel hat sich inzwischen als Astronomin einen Namen gemacht. Ihr Bruder Wilhelm, der berühmte Astronom, braucht sie als Assistentin. Und Caroline braucht ihn, um in der Wissenschaft Gehör zu finden. Doch ihre symbiotische Beziehung ist in Gefahr: Wilhelm hat geheiratet … 

Die Räume über der Werkstatt wurden zu einer kleinen Wohnung für Caroline ausgebaut. Im November erhielt sie Besuch von einer Gruppe französischer Astronomen, darunter Pierre Méchain, ein Kollege von Messier und ebenfalls Kometenjäger.

Die zwei Tage seiner Anwesenheit waren für Caroline ein Lichtblick in dunklen Monaten. Nach Kometen zu suchen war etwas, was sie auch weiterhin ­allein würde tun können, dafür brauchte sie weder einen Bruder noch das größte Teleskop der Welt.

Im Februar schrieb Alexander, Margaret sei einer Krankheit erlegen. Nach der Beerdigung reiste er nach Slough und saß mit Caroline in dem kalten Dachgeschoss, das bald ihr Heim sein sollte, über einer Tasse Tee. Worte waren überflüssig, die Geschwister verstanden einander in ihrer Einsamkeit.

Caroline assistierte Wilhelm weiterhin bei seinen Beobachtungen. Bald würden sie die Positionen von zweitausend Nebeln kennen. Gewissenhaft wie eh und je notierte Caroline alle Vorkommnisse in ihrem Tagebuch, aber über Mary und die Hochzeitsvorbereitungen verlor sie keine Silbe. Das Ereignis des achten Mai formulierte sie lapidar. Sie habe viel zu tun gehabt, um Wilhelms Haushalt ordentlich zu hinterlassen, denn um den werde sie sich ab heute nicht mehr kümmern.
Die zwei Zimmer ihres neuen Zuhauses hatten ungeschliffene Bodenbretter wie ein Heuschober. Im Haupthaus bereiteten eine Köchin und ein Mädchen unter der Woche Mahlzeiten zu, die Caroline manchmal mit den Arbeitern einnahm. Ihre Zimmer putzte sie selbst, aber das bedeutete auch, niemals mehr etwas suchen zu müssen, das jemand anders verräumt hatte.

Wenn ich ein Buch aufgeschlagen liegen lasse, verblättert es niemand beim Staubwischen.

Doch das Beste aus allem zu machen, ohne zu klagen, raubte Caroline Kraft. Der letzte Tagebucheintrag hatte sie Stunden gekostet. Während der Trauungszeremonie in der Kirche hatte sie mitleidige Blicke auf sich gespürt, und bei dem Lied, das sie auf das glückliche Paar anstimmen sollte, wäre sie an dem Kloß in ihrem Hals beinahe erstickt. Später musste sie einen Toast aussprechen und dazu lächeln. All diese Heuchelei! So konnte sie nicht leben. Sie klappte das Tagebuch zu und legte es zu den bereits vollgeschriebenen. Mit dem heutigen Tag begann für Caroline ein neues Kapitel in ihrem Leben, und das erforderte ein neues Buch. Sie nahm eines von dem Stapel, den sie immer vorrätig hatte, schlug es auf und zögerte. Die Seiten waren so hell. Passten ihre Gedanken darauf?

Caroline zog das Kleid aus, das sie bei der Trauung getragen hatte, und setzte sich in Arbeitssachen an den einzigen Tisch. Im letzten Licht des Tages begann sie zu schreiben. Sie leerte alles Angestaute auf das Papier, schimpfte über Mary, klagte über Wilhelms Verrat und verwünschte die eigene Gutgläubigkeit, denn, wenn sie es sich genau überlegte, hatte ihr Bruder ihr nie etwas versprochen. Als sie geendet hatte, klappte sie das Buch zu, ohne das Trocknen der Tinte abzuwarten. Sie fühlte sich erleichtert. Das neue Tagebuch legte sie in ein Ledersäckchen. Sorgfältig versteckte sie es im Holzschuppen unter Brettern und Erde.