WESTERMANNS FUNDSTÜCKE

Geschichten von Eis und Meer

17. Juni 2022

Unsere Kolumnistin Christine Westermann empfiehlt Lektüre abseits der aktuellen Bestsellerlisten. Lektüre, die auch das Wiederlesen lohnt. Heute: „Die Eismacher“ und „Das Meerbuch“.

Vielleicht wird dieses Buch Ihr Sommer­leben verändern. Ich bin jedenfalls seit der Lektüre von Ernest van der Kwasts Roman „Die Eismacher“ (btb, 400 S., 10,– ¤) von meiner langweiligen Standardbestellung – zwei Mal Nuss, ein Mal Zitrone – völlig abgekommen. Habe, ohne zu zögern, Grappa-Eis probiert. Im Mittelpunkt des Romans steht eine Eismacher-Familie aus den Dolomiten, wo das Handwerk des Eismachens von Generation zu Generation weitergegeben wird. Jedes Jahr verlässt die Familie Talamini ihr Tal Richtung Rotterdam, wo sie im Sommer ein kleines ­Eiscafé betreibt. Doch einer der ­Söhne will Bücher statt Eis, er will Schriftsteller werden. Ernest van der Kwast erzählt diese Familien- und Liebesgeschichte üppig, es wird dramatisch und sehr romantisch, aber nie driftet er ins Kitschige ab. Der Autor hat viel Zeit mit einer italienischen ­Familie in deren Eisdiele in Rotterdam verbracht. Vielleicht gelingt es ihm ­deshalb so fabelhaft, den Zauber von kalt und süß auf der Zunge zu beschreiben. 

Was hier draufsteht, ist drin: Meer. 22 Autoren und Autorinnen erzählen ihre Geschichten, aus ganz unterschiedlichen Per­spektiven. Am Meer, im Meer, auf dem Meer oder auch, wie man ihm näherkommt, dem Meer. „Das Meerbuch“ (Insel Verlag, 119 S., 14,– ¤) verbindet die Geschichten zeit­genössischer Autoren wie Axel Hacke und Judith Schalansky mit jenen von mittelalten wie Ingeborg Bachmann und Thomas Mann. Dazu von ziemlich alten wie Goethe oder Cervantes und uralten wie Platon oder Homer. Die Mischung macht’s: Axel ­Hackes Geschichte einer Nachtfahrt mit kleinen Kindern Richtung Sardinien. Thomas Manns Spaziergang am Lido von Venedig. Judith Schalanskys Suche nach abgelegenen Inseln. Homers Erzählungen von den Irrfahrten eines Königs. Mehr Meer als in der „Odyssee“ geht ja wohl kaum.

Über unsere Kolumnistin

Christine Westermann ist Autorin und Journalistin. Sie arbeitet seit vielen Jahren für das Fernsehen und den Hörfunk des WDR, war Mitglied beim „Literarischen Quartett“ und moderierte zusammen mit Götz Alsmann die Sendung „Zimmer frei“.