Elke Heidenreich: MÄNNER IN KAMELHAARMÄNTELN

Mode, Menschen und Marotten

20. November 2020

Ihre Geschichten erzählen von Mänteln und Röcken, Hüten, Jacken und Schuhen. Doch vor allem erzählen sie von Menschen, von Begegnungen, von der Liebe und vom Leben. Elke Heidenreich zeigt sich in "Männer in Kamelhaarmänteln" als kenntnisreiche Mode-Expertin und großartige Autorin.

Geschichten so zu erzählen, dass sie uns in einem Moment zum Lachen bringen und im nächsten zum Weinen – das vermögen nicht viele. Elke Heidenreich kann das. In ihrem neuen Buch „Männer in Kamelhaarmänteln“ erzählt sie „Kurze Geschichten über Kleider und Leute“. In 78 Texten schreibt sie über Jacke und Hose, Rock, Hut und Mantel, über peinliche Fehlgriffe und modische Höhenflüge. Eigentlich aber erzählt sie von der Essenz eines intensiven Lebens: von Freundschaft, Affären und Liebe, von Trennung und Kunst, von Begegnungen und Tod. Denn was bleibt am Ende, wenn wir gehen? Ein Schrank voller Kleider, die vom Leben erzählen – mit Rissen, Flecken, Zetteln und Münzen in den Taschen. Oder auch, weil sie unberührt blieben.  
„Männer in Kamelhaarmänteln“ ist ein schön gestaltetes Buch. Streng schaut die Malerin Frida Kahlo vom Cover, sie trägt einen elegant-rustikalen Herrenanzug. Eine Geschichte ist ihr gewidmet, der Künstlerin, die sich als junges Mädchen in Anzügen ­fotografieren ließ und nach einem schweren Unfall rauschende Kleider aus feiner Seide und Spitze trug und nie mehr Herren­anzüge. Doch überwiegend handelt es sich bei den Texten um ­autobiografische Stippvisiten im Leben von Elke Heidenreich: mal lustig, mal melancholisch und immer berührend. 
In einer Talkshow traf sie als Moderatorin auf Karl Lagerfeld, der versehentlich eine blaue und eine schwarze Socke trug. Beidseitig war das Erstaunen groß, die aufmerksame Beobachterin erhielt postwendend eine riesige Flasche Chanel-Parfum, die fünf Jahre lang hielt. Beim nächsten Treffen wollte Lagerfeld dennoch nicht mehr mit ihr sprechen: Sie hatte in einem Artikel sein Alter erwähnt. 

Elke Heidenreich
Männer in Kamelhaarmänteln

Kurze Geschichten über Kleider und Leute. 
Hanser, 224 S., 22,– €,
ISBN 978-3-446-26838-8

Erzähltes und Erlebtes

Und so wirft Elke Heidenreich Schlaglicht um Schlaglicht auf ihr Leben – und weist gleichzeitig darauf hin: Nicht alles, was hier steht, ist auch so passiert. Stattdessen vermischen sich Realität und Fantasie, Anekdoten, Beobachtungen, Erzähltes und Erlebtes. 

Auch Heidenreichs Mutter und ihr Vater tauchen auf – wenn sie es denn wirklich sind: der schöne, leichtsinnige Vater, der früh aus ihrem Leben verschwand, dem Kamelhaarmäntel vortrefflich standen und der die Frauen zu sehr liebte; die Mutter, die das gleiche Haar hatte wie ihre Tochter, fest davon überzeugt, dass ebendieses Haar ihr das ganze Leben versaut hatte. 

Die Mutter umarmte wenig, und Tochter Elke schlüpfte, wenn jene nicht zu Hause war, zu gern in deren Kleidung. Gemeinsam mit der Freundin betrachtete sie furchtsam die großen BHs der Mutter in der Wäscheschublade. Kaum selbst erwachsen, im Alter von 16 bis 20 etwa, trug sie dann nur noch Schwarz. Als Existenzialistin las sie Sartre und Camus, hatte mit dem Leben zu kämpfen. Richtig gut, sagt Elke Heidenreich, sei das Leben erst ab 40 geworden. Da war der Weg klar, Wunden waren geheilt. Heute schaut sie liebevoll auf die damals 16-Jährige zurück, die noch nicht verstand, dass es im Leben vor allem um eines geht – ums Loslassen.  

Gespür fürs Komische und Tragische
Ihr Bücherleben habe sie gelebt, sagt sie, und dabei aus dem Vollen geschöpft. Ihr Blick zurück ist dankbar. Dass ihre Lesungen derzeit coronabedingt häufig ausfallen, findet sie zwar traurig. Doch gleichzeitig zehrt sie von der Fülle des Erlebten und bedauert viel mehr die jungen Kolleginnen und Kollegen, die ihr erstes Buch geschrieben und kein Publikum haben. 

In ihrem Leben war Elke Heidenreich vieles: Autorin, Moderatorin, Literaturkritikerin und -vermittlerin, Journalistin und Comedian. Ihr Gespür für alles Komische und Tragische ist in ihrem neuen Buch fast durchgehend spürbar: etwa, als sie schildert, wie sie mit ihrem Freund Carlo zu einem rauschenden Medienfest fahren wollte, bei dem er einen Preis entgegennehmen sollte. Sie überredete ihn vor der Abfahrt zum Kauf eines neuen Anzugs, der vor Ort auf der Herrentoilette auch brav angezogen wurde. „Hast du sie noch alle? Ich sitze so nicht neben dir!“ war ihre Reaktion, als Freund Carlo aus der Toilette kam. Der Anzug war lila; von seiner Farbenblindheit hatte sie nichts gewusst. 

Es ist ihr feiner Blick fürs Besondere, ihr mal zarter, mal derb-­rabiater Ton, der Heidenreichs Texte so lebendig macht. „Männer in Kamelhaarmänteln“ steht seit Erscheinen auf den ersten Plätzen der Bestsellerlisten – zu Recht. 

Text: Christiane Petersen

Über die Autorin

Elke Heidenreich, geboren 1943, studierte Germanistik und Theater­wissenschaft, trat als Comedy-Figur Else Stratmann auf und moderierte zahlreiche Radio- und Fernseh­sendungen. 1992 erschien ihr literarisches Debüt, zuletzt unter anderen der Geschichtenband ­„Alles kein Zufall“ (2016, Hanser). Elke Heidenreich lebt in Köln.

"Ja, aber fesch ist sie nicht"

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Erzählungen anhand von Lieblingskleidungsstücken zu schreiben?
Elke Heidenreich: Eigentlich fing das Buch als „kleine Arbeit nebenbei“ an. Ich habe mir hin und wieder kleine Geschichten über Kleidung notiert und als ich vier Stück hatte, kam mir die Idee, ein ganzes Buch rund um das Thema zu machen. Dann habe ich gezielter angefangen, Geschichten zu sammeln: Immer dann zum Beispiel, wenn ich mich plötzlich an bestimmte Kleidungsstücke erinnerte, habe ich mir dazu Notizen gemacht. Ich habe auch alte Tagebücher durchgeschaut. Schließlich habe ich die Texte aneinandergereiht – und plötzlich war das Buch fertig.

Wissen Sie noch, mit welcher Geschichte Sie angefangen haben? 
Die erste Geschichte war „Ein Mann schält Kartoffeln“, mit Erinnerungen an meine Mutter. Und dann kam „Fesch“, die Geschichte über die Festspiele in Salzburg, wo ich die Eröffnungsrede halten sollte und hinterher aufs Klo ging. Hinter meiner Klotür hörte ich zwei österreichische Damen über mich reden. Die eine sagte: „Die Heidenreich – g’scheit ist sie ja schon.“  Und die andere sagte: „Ja, aber fesch ist sie nicht.“ Das war vielleicht was. Als ich meine Kabine verließ, sagte ich zu den beiden eleganten Damen: „Aber fesch sind doch Sie!“ Mit ­diesen beiden Geschichten fing es an. Aber lassen Sie sich nicht ­täuschen: Nicht alle Geschichten sind autobiografisch – da kommt Erlebtes mit Erfundenem zusammen. Literatur muss nicht wahr sein.

„Wir vergessen die Namen, die Geschichten, aber fast nie vergessen wir die Kleider“, schreiben Sie. Warum, meinen Sie, ist das so?
Ja, ist das nicht erstaunlich – wir erinnern uns häufig genau an das, was wir anhatten, als wir etwas Besonderes erlebten. Als wir uns verliebten, zum Beispiel. Wenn man verliebt ist, schnüffelt man ja auch gern an der Kleidung des anderen. Kleidung kann eine große Anziehungskraft haben – und auch etwas Abstoßendes sein. Grundsätzlich sollte Kleidung einen Sinn erfüllen. Wenn ich jemanden sehe, der mit einem Kapuzenpulli in die Oper geht, dann kann ich das nicht verstehen. Das Bewusstsein dafür geht leider verloren.  

Interview: Christiane Petersen