Kolumne

Rühreier und Rührsames

12. Mai 2023

Christine Westermann empfiehlt Lektüre abseits der aktuellen Bestsellerlisten. Lektüre, die auch das Wiederlesen lohnt. Dieses Mal: „Unsere glücklichen Tage“ und „Dreck“ .

Singende Butter

Ein Rührei ist ein Rührei. Aber nicht, wenn man ein Sternekoch ist. Dann ist ein Rührei eine äußerst delikate An­gelegenheit. Damit es gescheit gelingt, muss vorher die Butter in der Pfanne singen. Einer, der auf singende Butter schwört, ist der Amerikaner Bill Buford, gefeierter Restaurantkritiker in New York. Der Protagonist in „Dreck“ (Goldmann, 544 S., 16,– €) ist 50 Jahre alt, als er kurz entschlossen mit seiner Frau und den zwei Kindern nach Frankreich zieht, um dort kochen zu lernen. Nicht irgendwo, sondern in Lyon, wo der Geist des berühmten Paul Bocuse durch jede Küche wabert. Buford ist Anfänger, an ihm arbeiten sie sich alle ab, Pfanne und Töpfe fliegen tief. Die Köche schikanieren den Neuen, weil sie selbst auch schikaniert worden sind. Wenn einer dazu noch Amerikaner ist: Schlimmer geht’s nimmer. Bill Buford erzählt, wie er seine Lehrjahre in den verschiedenen Sterneküchen erlebt hat. Sehr unterhaltsam, sehr witzig, verblüffend und immer wieder zum Kopfschütteln. Wie eben die Sache mit der singenden Butter, die es unbedingt braucht, damit ein Omelett gelingt. Der Trick? Wenn sie in die Pfanne kommt, gibt die Butter kaum einen Ton von sich. Nur wenn es ihr zu heiß wird, beginnt sie unangenehm zu zischen. Die Tonlage genau dazwischen, die ist es. Wenn sie sachte summt, dann ist die Butter glücklich. Und die Eier sind es später auch. 

Vier Frauen, ein Mann, französische Lebensart

Was draufsteht, ist drin, in „Unsere glücklichen Tage“ (Penguin, 320 S., 11,– €): Vier junge Frauen und ein Mann erleben zusammen einen Sommer. Ein Mann, geteilt durch vier Frauen: Die Rechnung geht nicht ganz auf, und wie das alles in Schräglage gerät, davon erzählt dieser Roman. Er spielt in weiten Teilen am Meer, am Strand. Man feiert Feste, trinkt viel Wein und Bier, liegt sich in den Armen, wahlweise auch im Bett miteinander, selbst wenn man sich erst ein paar Stunden kennt. Es wird geliebt, gelacht, getrunken und natürlich geweint, nicht zu knapp. Die Autorin ist Wahlfranzösin, lebt in der Bre­tagne, kennt sich mit französischer Lebensart aus. Weiß natürlich, wie man mit leichter Hand ein Abendessen für ein Dutzend Gäste zaubert. Julia Holbe war lange Zeit Lektorin beim Fischer Verlag, beherrscht ihr Handwerk. Kein bisschen Langeweile beim Lesen, viel Federleichtes und hin und wieder Drama, großes Drama sogar. Am Schluss der Geschichte geht mir die Sonne ein bisschen zu rosarot im Meer der Erinnerungen unter. Macht aber nichts. •