Kristina Hauff: UNTER WASSER NACHT

Schmerz und Schweigen

4. März 2021

Aaron ist ertrunken. Der Tod des Jungen in der Elbe hat das paradiesische Leben auf dem Hof im Wendland und die Freundschaften dort zerstört. „Unter Wasser Nacht“ ist ein mitreißender Roman über Trauer, Schuld und lähmendes Schweigen. 

Er war ein Wunschkind. Sophie und Thies hatten lange von einer Familie geträumt, am besten so harmonisch wie die ihrer Freunde Inga und Bodo. Die Paare ­teilen sich Hof, Scheune und Kräutergarten in den Elbauen. Doch ­Aaron war von Anfang an nicht mit der tollen Tochter Jella von nebenan und deren Bruder Lasse zu vergleichen: Ständig hatte er Wutaus­brüche, tobte und schrie. Aaron tyrannisierte alle. Sophie und Thies wussten nicht weiter. Fühlten sich von Therapeuten, Pädagogen und auch von ihren Freunden alleingelassen. Und in ihre Ohnmacht mischte sich Scham: Die Eltern eines derart aggres­siven Sohnes mussten doch irgendwas falsch machen. 

Aber das Wunschkind ist tot. Vor mehr als einem Jahr ertrank Aaron unter ungeklärten Umständen in der Elbe. Seit der Tragödie kann Gymnasiallehrer Thies nicht mehr arbeiten. Er wandert einsam umher, steht an der Elbe, gequält von inneren Bildern ­eines blonden Jungen, dessen lebloser Körper in einem Superman- Shirt unter der Wasseroberfläche treibt. Mutter Sophie wiederum flüchtet sich in die Arbeit: Sie sitzt im Labor und analysiert Messdaten zur Wasserqualität des Flusses. Früher hatte sie sich in besonders finsteren Momenten den so ersehnten Sohn sogar wieder weggewünscht: „Eine Welt ohne Aaron. Davon hatte sie geträumt. Jetzt war sie real.“

Kristina Hauff
Unter Wasser Nacht

hanserblau, 
288 S., 20,– €, 
ISBN 978-3-446-26945-3
 

Das Paar steht am Abgrund. Auch die Nähe zu Inga und Bodo ist dahin. Zusammen mit den Freunden hatten sie in ihren Hamburger WG-Jahren gegen den Atomstandort Gorleben demons­triert. Gemeinsam haben die beiden Paare eine paradiesische Hofgemeinschaft im Wendland gegründet. Aber Aarons Tod hat alle Träume und auch ihre Freundschaft zerstört. Geblieben sind Starre und bleiernes Schweigen. 
Und dann kommt eine rätselhafte Fremde mit der Fähre über den Fluss: Mara, angereist aus der alternativen Freistadt Christiania in Kopenhagen, fasziniert alle ungemein. Sie stellt viele Fragen, bringt unangenehme Geheimnisse ans Licht, aber taut mit ihrer zugewandten Art auch das Eis zwischen den Freunden allmählich auf. Welche Pläne sie selbst verfolgt, weiß jedoch niemand.

Der Fluss als Sinnbild 

„Unter Wasser Nacht“ schildert das Unaushaltbare. Können Menschen nach einem so großen Verlust überhaupt weitermachen? Kristina Hauff begleitet ihre Figuren so behutsam wie eindrucksvoll auf einem überaus schmerzlichen Weg. Der Autorin ist eine feinsinnige, äußerst einfühlsame Ode an das Leben gelungen – und an den Fluss. „Es musste ein größerer Fluss sein, idyllisch und bedrohlich zugleich, so kam ich auf die Elbe“, sagt sie. „Der Fluss steht sinnbildlich für Veränderung, für Trost. Er fließt dahin wie die Zeit, er kann die Geschehnisse davontragen.“

Geboren am Niederrhein, lebt die 55-Jährige heute mit ihrer Familie in Berlin. Auf der Suche nach ­einem idyllischen Ort an der Elbe für ihren mitreißenden ­Roman habe sie sich schnell ins Wendland verliebt. „Einerseits findet man die Fluss­auen, Landwirtschaft, Dörfer“, erklärt Kristina Hauff. „Andererseits hat die Benennung von Gorleben als Standort für ein nukleares Entsorgungszentrum in den 70er Jahren die Idylle aus dem Dornröschenschlaf gerissen.“ Diese bunte, kreative Mischung spiegelt sich in der Welt ihres Romans wider. 

"Es gehört viel Mut dazu, loszulassen und neu anzufangen. Aber noch wichtiger ist: Man muss das Verlorene betrauern und sich selbst verzeihen.“

Kristina Hauff

Zerbrochene Träume

Neben dem Fluss stehen Familien im Zentrum der mit klugen Perspektivwechseln erzählten Tragödie. Überall lauern ­Abgründe. „Mich hat schon immer der Blick hinter allzu glatte Fassaden fasziniert“, verrät die Schriftstellerin und fragt: „Eine vollkommen krisenfreie Familie – kann es die wirklich geben?“ Ihre Figuren Sophie und Thies müssten aushalten, dass es keine Erklärung für Aarons Systemsprenger-Probleme gebe, „und das ist vielleicht schwerer zu ertragen als eine konkrete medizinische oder psychologische Diagnose“. Kein Wunder, dass die beiden beinah an ihren Schuldgefühlen erstickten, als sich der heimliche Wunsch, ihr altes Leben ohne dieses Kind zurückzubekommen, durch ­Aarons Tod auf finstere Weise erfüllt habe. 

Der Sohn gestorben, die Ehe vor dem Aus, alle Träume zerbrochen: Wie können Menschen in höchster Not mit so großen Schuldgefühlen weiterleben? „Es gehört viel Mut dazu, loszulassen und neu anzufangen“, weiß Kristina Hauff über den schmerzhaften Prozess. „Aber noch wichtiger ist: Man muss das Verlo­rene betrauern und sich selbst verzeihen.“ 

Petra Mies

Über die Autorin

Geboren wurde Kristina Hauff, Jahrgang 1965, am Niederrhein. Sie ist gelernte Buchhändlerin und arbeitete als Pressereferentin für Fernsehserien von ARD und ZDF und am Theater. Unter ihrem echten Namen Susanne Kliem schreibt sie erfolgreiche Kriminal­romane. Für „Unter Wasser Nacht“ verbrachte sie längere Zeit im Wendland und recherchierte in Archiven. Kristina Hauff lebt mit ihrer Familie in Berlin.

Redaktionsleiter Eckart Baier über "Unter Wasser Nacht":