45. Tage der deutschsprachigen Literatur

Bachmannpreis für Nava Ebrahimi

21. Juni 2021

Der Bachmannpreis 2021 geht an Nava Ebrahimi, den Deutschlandfunk-Preis gewinnt Dana Vowinckel. Hubert Winkels' Literaturkritik-Rede löst eine Debatte aus.

Beim Bachmannpreis setzt sich Nava Ebriahmi in einer Stichwahl gegen Dana Vowinckel durch. Der Text von Klagenfurt sei der komplexeste, den er von der Autorin kenne, sagte Juror Klaus Kastberger in seiner Laudatio. Ibriahmi zeige, was es bedeutet, in kulturellen Überlappungsbereichen zu schreiben. Die Literatur biete Möglichkeiten, die in Gesellschaften nicht so ohne weiteres möglich seien, gebe Raum, auch von persönlichem Leid zu berichten, so Kastberger.

Nava Ebriahmi wurde 1978 in Teheran geboren, wuchs in Köln auf, studiert dort Volkswirtschaftslehre und Journalismus und lebt seit 2012 mit ihrer Familie in Graz.  Sie arbeitete mehrere Jahre als Redakteurin in Köln und Hamburg sowie als Nahostreferentin für die deutsche Außenwirtschaftsförderung. Ihr Debütroman "Sechzehn Wörter" erschien 2017, ihr zweites Buch, "Das Paradies meines Nachbarn", drei Jahre später. 

Klagenfurt 2021: Die Gewinner*innen

  • Ingeborg-Bachmann-Preis: Nava Ebrahimi. Gestiftet von der Landeshauptstadt Klagenfurt am Wörthersee in der Höhe von 25.000 Euro.
  • Deutschlandfunk-Preis: Dana Vowinckel. Gestiftet von Deutschlandradio in der Höhe von 12.500 Euro.
  • KELAG-Preis: Necati ÖziriGestiftet von der Kärntner-Elektrizitäts-Aktiengesellschaft in der Höhe von 10.000 Euro.
  • 3sat-Preis: Timon Karl Kaleyta. Gestiftet von 3sat, dem Gemeinschaftsprogramm der öffentlichrechtlichen Fernsehanstalten ZDF, ORF, SRG und ARD in der Höhe von 7.500 Euro.
  • BKS Bank – Publikumspreis: Necati Öziri. Gestiftet von der BKS-Bank in der Höhe von 7.000 Euro.

"Am Katzentisch der kulturellen Öffentlichkeit"

Bei den 45. Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt hatte der ehemalige Juryvorsitzende Hubert Winkels in einer "Rede zur Literatur" die Rolle der Literaturkritik in den Fokus gerückt und mit seinen Thesen eine Debatte ausgelöst.

  • Die komplette Rede, inklusive eines Videos findet sich hier.

"Dass die Literaturkritik ein Thema von allgemeinem öffentlichen Interesse ist, muss man in Klagenfurt bei den Tagen der Deutschsprachigen Literatur nicht eigens erklären. Im Großen und Ganzen ist es jedoch keineswegs mehr selbstverständlich", meinte Winkels. Die bildungsbürgerliche Idee, dass ein politisch engagierter oder zumindest informierter Bürger eines historisch-intellektuellen Hintergrundes bedürfe, um starke Maßstäbe zum Verständnis tagesaktueller Informationen zu haben, verliere ihre Attraktivität. Die inspirierten Betreiber dieser Kunst würden eher an den Katzentisch der kulturellen Öffentlichkeit geführt.

Die Berührung mit dem anderen, mit der fremd gewordenen Textur der Welt, die durch die Kunst hindurch möglich werde, im Glücksfall infektiös für den Betrachter und deshalb im Feuilleton exemplarisch erlebbar in der Arbeit der Kritikerin, sei im klassischen Informationsverarbeitungsprozess der Zeitung und des Hörfunks nicht mehr gefragt, sondern beargwöhnt; vom Fernsehen ganz zu schweigen, wo die Separierung der Kunst von der kulturell interessierten Öffentlichkeit ungleich weiter fortgeschritten sei. Und Winkels moniert mit Blick auf das "Literarische Quartett" (ZDF): "Die einzige an ein größeres Publikum gerichtete deutsche Fernsehsendung, die ausschließlich Diskussionen über neue Bücher zeigt, verzichtet programmatisch vollständig auf Literaturkritiker."

Laut Winkels ist die Kunstkritik in eine dienende Funktion geraten, weniger den Kunstwerken und Büchern als vielmehr dem Publikum gegenüber. Die Klickzahlen der Online-Welt, in welche die Zeitungen und Rundfunkhäuser nach und nach einwandern, verstärkten diese Tendenz entscheidend. "Es gibt ja zurzeit eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den banalisierenden Tendenzen in Darstellung und Berichterstattung von Kultur im Radio", so Winkels. "Sie nimmt ihren Anstoß wesentlich an der Schrumpfung der Sendeplätze. Viel wichtiger scheint mir eine Diskussion der Art und Weise des Umgangs mit den schönen Künsten. Die Kollegen der klassischen Musik machen es deutlicher noch als wir Literaturkritiker, wenn sie in ihrer Senderkritik, aktuell an WDR und RBB, mit deren anmaßendem und täuschendem Konzept des 'erweiterten Kunstbegriffs' ins Gericht gehen, den man polemisch auch den 'um André Rieu erweiterten Kunstbegriff' nennen könnte."

Winkels schließt an: "Positiv gewendet: Die Bewahrung eines Raums der anspruchsvollen Darstellung, von der Moderation über komplexen Sprachgebrauch und eine durchaus auch textmimetisch operierende Dramaturgie bis zum ausführlichen Zitat ist entscheidend. Den Kritikerinnen muss die nötige Zeit für die Begegnung mit den im Kunstwerk aufgehobenen Erfahrungen, mit der Eigenzeit, sei es der Musik, in unserem Fall der Fiktion, gewährt werden, (...)."

Medienecho

Mit seiner Rede hat Huberts Winkels in den Feuilletons eine Debatte ausgelöst. In der "FAZ" betont Jan Wiele in seinem Kommentar "Welche Kulturkritik wollen wir?", es habe schon leichter verständliche Reden zur Literatur in Klagenfurt gegeben und hebt Winkels Plädoyer für die Kritik als eigene Kunstform hervor.  

"Man mag einiges von dem, was Winkels sagt, sofort unterschreiben, gerade als Literaturmedienarbeiter – auch wenn die Klarheit im Ausdruck der Rede manchmal zu wünschen übrig lässt, Winkels zu Schlangensätzen und einer gewissen intellektuellen Gespreiztheit neigt und Begriffe wie 'aprotopäische Reaktion' verwendet. Doch nehmt dies, Medienverantwortliche!", schreibt Gerrit Bartels im Tagesspiegel ("Am Katzentisch der kulturellen Öffentlichkeit").