KOLUMNE

Lektüre und Lebenshilfe

6. Oktober 2023

Buchhändler zu sein, war schon immer mein Traum. Den ganzen Tag von Büchern umgeben zu sein, zu lesen, Herzenslek­türe empfehlen … das entspricht natürlich schon so in etwa der Realität – allerdings: Was Kund:innen (und ihre Wünsche) angeht, gleicht jeder Tag im Laden einer Wunder­tüte. Florian Valerius über sein Leben als Buchhändler. 

Buchhändler zu sein, war schon immer mein Traum. Den ganzen Tag von Büchern umgeben zu sein, zu lesen, Herzenslek­türe empfehlen … das entspricht natürlich schon so in etwa der Realität – allerdings ist mein Beruf eben auch eine kaufmännische Tätigkeit, und man hat darüber hinaus den ganzen Tag mit Menschen zu tun. Kein unwesentlicher Aspekt.
Fangen wir mit dem einfachsten an, was ich im Lauf der Jahre gelernt habe: wie schwierig es sein kann, ein passendes Postkartenmotiv zu finden – die Suche kann schon mal 15 – 20 Minuten dauern, um am Ende (vielleicht) 1,80 Euro in der Kasse zu verbuchen. Und völlig selbstverständlich wird erwartet, dass ich alle Feuilletons gelesen und sämtliche Talkshows, wie „Markus Lanz“, „3 nach 9“ oder den „Kölner Treff“, gesehen habe, weiß, über welche Bücher geschrieben und gesprochen wurde. Natürlich auch über die von vor sechs Monaten. 

Buchhändler:in zu sein, bedeutet tief im Leben zu stehen, mit all seinen Facetten, den schmerzhaften wie denen zum Schmunzeln.

Florian Valerius

Überhaupt: Was Kund:innen (und ihre Wünsche) angeht, gleicht jeder Tag im Laden einer Wunder­tüte. Dass Langeweile aufkäme, kann ich jedenfalls nicht behaupten. Zum Verständnis scheint zu gehören, dass wir alles können, haben oder sind: Pass­fotos, Mietverträge, Fotokopien, öffentliche Toilette, Auskunft, Post, Wegbeschreibungen, Touristen­information und Gault&Millau-Führer. Keine An­frage zu wild, als dass ich sie nicht gehört hätte.
Sehr oft muss ich auch erklären, dass wir davon leben, Bücher zu verkaufen, und keine Bücherei sind – den Student:innen, die „mal kurz nur einen Paragrafen aus einem Gesetzestext abfotografieren wollen“, oder der panischen Dame am Telefon, die an einem Samstag wissen wollte, ob wir ein Backbuch von den WeightWatchers vorrätig hätten. Sie müsse wissen, ob sie statt Halbfettmargarine auch Butter benutzen dürfe. Ob ich kurz nachschauen könnte? 
Und dann die Großmutter, die die „Buddenbrooks“ für den sechsjährigen Enkel kaufen möchte und die man mit Engelszungen beraten und überzeugen muss, dass dies vielleicht noch keine angemessene Lektüre sei … 
Ein Kundenbesuch, der Jahre her ist, hat sich mir besonders tief und schmerzhaft eingegraben – eine Dame, die etwas für eine Teenagerin suchte und nur eine Vorgabe machte: Das Buch solle nicht zu dick sein. Das Mädchen läge im Sterben und sie möchte, dass sie noch zu Ende lesen könne. 
 Sie merken, Buchhändler:in zu sein, bedeutet tief im Leben zu stehen, mit all seinen Facetten, den schmerzhaften wie denen zum Schmunzeln. Und ich möchte keine Begegnung und keinen Moment davon missen. Wie kann ich Ihnen weiterhelfen? •

Der Kolumnist

Florian Valerius, 40, turnt auf vielen Baustellen: als Buchhändler in Trier, als @literarischernerd auf Instagram (fast 30 000 Follower) und als Jurymitglied für den Deutschen Buchpreis. Die Digitalisierung fürchtet er nicht; sie hilft ihm, neue Lesende zu gewinnen.