COMIC und MANGA

Messe der ausgefallenen Charaktere

9. November 2023

Comics und Manga ziehen ein großes, zumeist junges Publikum an und erobern seit den 1980er Jahren den Buch­markt. Eine kurze Kulturgeschichte dieser Grenzen sprengenden Literaturgattung und ihrer Großevents.

Man muss den Blick schon in die 1960er Jahre schweifen lassen, um an die Wurzeln der Comic-Großevents in den USA und in Europa zu gelangen. Damals mischten Prominente wie Marvel-Mastermind Stan Lee oder der italienische Schriftsteller Umberto Eco mit. Diese Veranstaltungen gingen aus früheren Treffen von Fans der Science-Fiction-Literatur hervor. Die sogenannten SF-Cons – eine Verkürzung des englischen Begriffs convention, für Zusammenkunft – waren ab 1970 in den USA Namensgeber der San Diego Comic-Con oder der New York Comic-Con, beides Publikums­magneten mit immenser Bedeutung für die Branche. 

In Europa kam die Szene etwas vergeistigter daher, und so waren es vor allem Literaturwissenschaftler aus Italien, siehe Umberto Eco, und Frankreich, deren Begeisterung für die zunehmend erwachsenere Erzählform Comic zu Begegnungen abseits von klassischen Ausstellungen (etwa 1966 im Pariser Louvre) führte. ­Literat:innen und Künstler:innen richteten 1965 im italienischen Bordighera und ein Jahr später im beschaulichen Lucca in der Toskana das erste Comicfestival auf europäischem Boden aus. Letzteres entwickelte sich in den folgenden Jahren zur wichtigsten Veranstaltung für die gesamte Comicbranche, bis es 1974 in Südfrankreich vom Festival International de la Bande Dessinée d’Angoulême abgelöst wurde, das bis heute als Mekka der Comicfans gilt. 

Auch in Deutschland etablierten sich Sammlertreffen aus der Science-Fiction-Szene heraus. 1970 gründete sich in Berlin der Verein INCOS (Interessengemeinschaft Comic Strip), und die Berliner Akademie der Künste organisierte eine erste Ausstellung, der 1973 der Deutsche Comic-Kongress folgte. Während diese Initiativen vor allem Sammler ansprachen, die den Marktüberblick behalten oder ihre Comicbibliotheken vervollständigen wollten (und die sich weiterhin auf Comicbörsen treffen), wurde im fränkischen Erlangen 1982 der Grundstein für eine szeneübergreifende und kulturell gänzlich neue Veranstaltungsform gelegt. 

Im Zeichen der Kultur
Der zwei Jahre später als Erster Internationaler Comic-­Salon Erlangen (ICSE) ausgetragene Event vereinte bereits in seinem Namen den Anspruch, dem sich Stadt, Szene und Sponsoren verpflichtet sahen: ein internationales Großereignis rund um den Comic zu schaffen, das die Kultur fördern, besonders aber zur Anerkennung der Literaturgattung beitragen sollte. Bis heute ist der alle zwei Jahre im Frühsommer stattfindende ICSE das größte und wichtigste Ereignis für den Comic in Deutschland, mit bis zu 30 000 Besuchern an vier Festival­tagen – begleitet von einem vielseitigen Programm, an dem Verlage, Agenturen und das Kulturamt Erlangen gleichermaßen mitwirken. Mag der ICSE für ausländische Lizenzgeber und Verlage auch interessant sein, die ­Kultur steht in Erlangen im Mittelpunkt. Das Publikum kommt den nationalen wie auch internationalen Künstler:innen so nah, wie es auf klassischen Buchmessen nur selten der Fall ist. Ein Höhepunkt, auch ­medial, ist die Verleihung des Max-und-Moritz-Preises, bei der unter anderen internationale Künstler:innen und nationale Zeichner:innen der Comicszene für herausragende Leistungen gekürt werden. Im Lauf der ­Jahre erhielt das hauptsächlich auf dem ICSE thematisierte Erscheinungsformat des klassischen Comic­albums, das seine Ursprünge vor allem in Frankreich, Belgien und den Niederlanden hat, mit den Erzählformen Manga und Graphic Novel neue, den Lesegewohnheiten und Wünschen des Comicpublikums entsprechende Impulse. Sie inspirierten weitere Veranstalter, Festivals zu organisieren, darunter das Comicfestival München, das Fumetto im schweizerischen Luzern oder die junge Comiciade in Aachen.

Der Reiz des Exotischen

Mit dem zunehmenden Erfolg von Manga, also Comics aus Japan, veränderten sich in den 1990ern nicht nur der Markt und die Kaufgewohnheiten der Leser:innen für grafische Literatur; der Bedarf an Angeboten für die zum großen Teil weiblichen Fans von Serien wie „Sailor Moon“ oder „Dragon Ball“ zwang die Veranstalter von Comicereignissen, sich neu zu orientieren. Obwohl seit 2002 beim Internationalen Comic-Salon Erlangen ­Manga für den Max-und-Moritz-Preis nominiert oder (anfangs eher zögerlich) in Ausstellungen gewürdigt wurden, was Liebhaber:innen der fernöstlichen Comickultur aufs Festival lockte, zeigte sich schnell: Es bedarf spezieller Angebote wie Cosplay oder Workshops, um das jüngere Manga-Publikum zu begeistern.
Frankreich machte 1999 den Anfang, mit der Japan-­Expo, einem anfangs kleinen Festival der japanischen Kultur. Es weckte das Interesse jenseits des Rheins und so fand – thematisch ähnlich – im gleichen Jahr die ­AnimagiC in Koblenz statt. Bis heute zählt die mittlerweile in Mannheim beheimatete Veranstaltung zu den wichtigsten Messen für japanische Kultur, insbesondere für Anime (japanische Zeichentrickfilme) und Manga. In Manga-Festivals (Manga-Cons) integriert sind Medien­formen wie Film, Literatur, Manga oder Games und Musik (J-Rock). Eine große Rolle spielt dabei das ­Cosplay, bei dem die Fans sich verkleiden und in die ­Rolle eines Charakters aus dem Lieblingsmanga oder -anime schlüpfen. Durch Kooperationen mit Verlagen oder Games-Produzenten wie Nintendo schaffen es die Veranstalter oft, namhafte Zeichner oder Regisseure auf die Messe zu holen, wo sie ihren Fans auf Augenhöhe begegnen. In Deutschland ist die AnimagiC als bedeutendste Veranstaltung inzwischen von der Manga-­Comic-Con auf der Leipziger Buchmesse abgelöst ­worden. Sie legt ihren Schwerpunkt stärker auf das ­gedruckte (oder digitale) Buch.

Hollywood grüßt

Eine andere historische Entwicklung und inhaltliche Ausrichtung haben die seit einigen Jahren auch in Deutschland veranstalteten Comic Conventions oder Comic-Cons. Bei diesen nach US-Vorbildern entstandenen Messen handelt es sich zumeist um kommerzielle Veranstaltungen, auf denen Verlage und Händler ihre Angebote präsentieren können und vom Veranstalter (oder den Ausstellern) Gäste für Autogramme und / oder Fotos eingeladen werden. Der Fokus liegt vorwiegend auf der Filmbranche, die verstärkt nach dem Start des Marvel Cinematic Universe Inhalte aus Comics auf die Leinwand bringt und eine wachsende Fangemeinde hat. Daher sind neben Filmstars und Franchise aus Hollywood auch Comic-Künstler und -Verlage mit ihrem Merchandise auf den Events vertreten.
Zum ersten Mal brachte dieses Konzept die German Comic Con im Dezember 2015 nach Deutschland, nur ein Jahr später folgte die ähnlich ausgerichtete Comic Con Germany in Stuttgart, die an zwei Tagen bis zu 50 000 Besucher:innen zählt und als größtes Festival dieser Art gilt. Ähnlich wie bei Comicfestivals oder Manga-­Cons bieten Comic-Cons ein Rahmenprogramm: mit Ausstellungen zu Filmrequisiten, Workshops, Vorträgen oder Cosplay-Wettbewerben sowie Previews von Filmen und TV-Serien. Oft gibt es auch einen Fanbereich, in dem Talente ihre Arbeiten zeigen. Für Nachwuchs ist also gesorgt. •