Friedenspreisverleihung in der Frankfurter Paulskirche

"Wir brauchen eine neue Aufklärung"

23. Oktober 2021

Tsitsi Dangarembga, Schriftstellerin und Filmemacherin aus Simbabwe, ist am Buchmesse-Sonntag in der Frankfurter Paulskirche mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet worden. Ihre Dankesrede trifft ins Herz dieser Buchmesse, die unter dem Motto „re:connect“ stand – und mit der Debatte um rechte Verlage doch die tiefen Risse in der Gesellschaft spiegelte. Die Frankfurter Stadtverordnete Mirrianne Mahn nutzte das Podium spontan für eine klare Botschaft an die Messe.

Es war in vielerlei Hinsicht eine besondere Friedenspreisfeier: Endlich gab es nach der Pandemiezeit wieder Publikum in der Paulskirche, die Laudatio auf die Preisträgerin war so persönlich und freundschaflich wie nie - und eine kurze, klare Zwischenrede der Frankfurter Stadtverordneten Mirrianne Mahn holte ein zentrales Thema dieser Buchmesse direkt in die versammelte Festgesellschaft: die Debatte um rechtsradikale Verlage und den Messe-Boykott durch Autor*innen.

Zwischenrede von Mirrianne Mahn zu rechten Verlagen

Mirrianne Mahn ging vor laufenden ZDF-Kameras zum Podium und unterbrach die Rede von Oberbürgermeister Peter Feldmann. Der OB sprach mit Blick auf die öffentliche Messedebatte gerade darüber, dass die Freiheit des Wortes zwar ein hohes Gut sei, die Würde des Menschen aber an erster Stelle im Grundgesetz stehe - da trat die Stadtverordnete zu ihm ans Mikrofon.

Zum Finale der Buchmesse werde eine Schriftstellerin aus Simbabwe ausgezeichnet, gleichzeitig dürften dort Verlage ausstellen, die denjenigen Menschen mit Hass und Ausgrenzung begegneten, "die so aussehen wie die Friedenspreisträgerin und ich," so die Grünen-Politikerin. Man dürfe Rechtsradikalen keine Plattform bieten, um ihre menschenfeindliche Ideologie zu verbreiten - sonst beteilige man sich aktiv "am nächsten Hanau", warnte Mirrianne Mahn.

Kämpferin für Freiheitsrechte und politische Veränderung

Ttsitsi Dangarembga ging nicht direkt auf die Messedebatten ein, nahm den Friedenspreis des deutschen Buchhandels aber mit einer bewegenden, ebenso philosophischen wie hochpolitischen Rede entgegen, die auf vielen Ebenen damit verbunden ist. „Auf diesem Planeten leben sieben Milliarden Menschen. Ich gehöre jetzt zu den wenigen von diesen vielen, die verstehen, was für ein großes Privileg es ist, sich an einem Ort zu befinden, an den mich nicht einmal die Phantasie hätte versetzen können“, so die Friedenspreisträgerin in der Paulskirche.

Die Schriftstellerin und Filmemacherin aus Simbabwe verbinde in ihrem künstlerischen Werk „ein einzigartiges Erzählen mit einem universellen Blick und ist deshalb nicht nur eine der wichtigsten Künstlerinnen ihres Landes, sondern auch eine weithin hörbare Stimme Afrikas in der Gegenwartsliteratur“, so der Stiftungsrat des Friedenspreises in der Begründung seiner Wahl: „Begleitet wird ihr künstlerisches Schaffen von dem jahrelangen Engagement, die Kultur in ihrem Land zu fördern – und diese insbesondere für Frauen zu öffnen. Gleichzeitig kämpft sie für Freiheitsrechte und politische Veränderungen in Simbabwe.“

Simbabwe, der Staat, aus dem ich komme, hat nie Frieden gekannt.

Tsitsi Dangarembga, Friedenspreisträgerin 2021

Die Gewaltherrschaft der Kolonialzeit wirkt nach

Ihrem Heimatland widmete die Preisträgerin denn auch einen großen Teil ihrer Rede – indem sie dem Westen den Spiegel vorhielt und an die Gewaltherrschaft der Kolonialzeit erinnerte. .Simbabwe, der Staat, aus dem ich komme, hat nie Frieden gekannt. Unterschiedliche Formen institutionalisierter Gewalt wurden von weißen Körpern gegen schwarze Körper ausgeübt, als die britischen Siedler kamen, um das Land zu besetzen“, so Tsitsi Dangarembga.

Diese Gewalt, die den simbabwischen Staat bis heute präge, sei keineswegs ein isoliertes historisches Ereignis: „Der größere Teil der Welt hat die facettenreiche Gewalt des westlichen Imperiums erlitten, wie ich sie im Fall Simbabwes beschrieben habe. Diese Gewalt ist üblich bei allen imperialen Unternehmungen des westlichen Viertels der Welt im Rest der Erde, ein Prozess, der im fünfzehnten Jahrhundert begann.“ Das habe tiefe Spuren hinterlassen, betonte die Friedenspreisträgerin: „Wir sollten also nicht überrascht sein, dass Gewalt – physische, psychologische, politische, ökonomische, metaphysische und genozidale – zu oft in postkolonialen Ländern an der Tagesordnung ist.“

Nur Gewalt gedeiht unter den Bedingungen von Gewalt.

Tsitsi Dangarembga

"Ich denke, also bin ich": Ist das noch der richtige Ansatz?

Für die Schriftstellerin sind es nicht zuletzt Denkmuster und Narrative, die über Gewalt oder Aussöhnung entscheiden. „Ich denke, als bin ich“: Ist Descartes‘ philosophische Erkenntnis aus dem Zeitalter der Aufklärung wirklich noch der Blick aufs Leben, der die Menschheit in die Zukunft trägt? In ihrem Teil der Welt heiße es: „Ich bin, weil Du bist“, so Tsitsi Dangarembga, „aber auch diese Philosophie hat uns nicht gerettet.“ Über das „Ich“ hinauszuschauen zum „Wir“ könne aber zu horizonterweiternden Neuformulierungen des alten Descartes-Satzes führen, zum Beispiel zu „Wir denken, also sind wir“ oder sogar zu „Wir sind, also denken wir“.

Eine neue Aufklärung müsse her, forderte die Friedenspreisträgerin: „Wir müssen neue Gedanken entwickeln, sie aus den Ecken des Universums ziehen, wo sie entstehen, um den Paradigmenwechsel zu bewirken, der unsere Art und Weise bestimmt, wie wir Erkenntnis erlangen, Wert und Bedeutung zuschreiben, die für unser Überleben notwendig sind, während unsere Ozeane verschmutzen, die Ozonschicht dünner wird, sich das Klima wandelt, Temperaturen und Meeresspiegel ansteigen, trotz wissenschaftlichen Fortschritts Krankheiten wüten, Hunger herrscht und schwarze Körper im Meer ertrinken auf dem Weg zu denen, die zuerst zu ihnen segelten, und in dieser Zeit ständig zum Opfer dessen werden, was Fortschritt genannt wird.“

Wie wir wissen, hat die Aberkennung des menschlichen Werts anderer Menschen den Effekt, den menschlichen Wert zu erhöhen, den wir uns selbst zuschreiben; und wir wissen auch, dass dieser Mechanismus der differenziellen Zuschreibung von Menschlichkeit für einen Großteil der Gewalt verantwortlich ist, mit der die Menschen einander heimsuchen.

Tsitsi Dangarembga

Abschied von hierarchischen Denkweisen

Was ist zu tun, um den Frieden zu fördern? „Ich glaube, dass die Antwort einfacher ist, als wir denken“, so Tsitsi Dangarembga: „Die gewaltsame Weltordnung, in der wir heute leben, wurde von gewissen hierarchischen Denkweisen etabliert. Die Lösung ist, ethnisch determinierte und andere hierarchische Denkweisen abzuschaffen, die auf demografischen Merkmalen wie sozialem und biologischem Geschlecht, Religion, Nationalität, Klassenzugehörigkeit und jedweden anderen Merkmalen beruhen, die in der gesamten Geschichte und überall auf der Welt die Bausteine des Imperiums waren und noch immer sind.“

Die Entscheidung, was und wie wir denken, sei letztlich eine Entscheidung zwischen Gewalt oder Frieden fördernden Inhalten und Narrativen, betonte die Friedenspreisträgerin: „Dass jemand wie ich, der in nicht so ferner Vergangenheit aufgrund von demografischen Kriterien im schlimmsten Fall als nicht denkend, im besten Fall als nicht auf eine wertvolle Weise denkend und deshalb auf nicht wertvolle Weise existierend kategorisiert wurde, heute diesen Preis erhält, bezeugt die Fähigkeit für Wandel, die wir Menschen haben.“

Auma Obama: Wegbegleiterin auf einer langen Reise

Die Laudatio auf Tsitsi Dangarembga hielt die kenianische Soziologin und Germanistin Auma Obama. Die Schwester von Barack Obama hat früher gemeinsam mit der Preisträgerin die Deutsche Film- und Fernsehakademie in Berlin besucht, beide sind seit vielen Jahren befreundet.

„Der Weg dorthin, wo du jetzt stehst, war kein einfacher. Ich weiß das. Einen TeiI der Strecke bin ich, vor vielen, vielen Jahren, mit dir zusammen gegangen“, so Obama in ihrer Würdigung. Beide seien sie nach Deutschland gegangen – in der Hoffnung, hier die Zeit und den Raum zu finden, um ihre eigene künstlerische Ausdrucksform zu finden.

Du hast ein differenziertes Bild des afrikanischen Kontinents in die Welt hinausgetragen - dafür danken wir Dir, liebe Tsitsi.

Auma Obama, Laudatorin

Warum gerade Deutschland, ein fremdes Land mit fremder Kultur? Weil es wahr sei, dass man nun mal in der Fremde das Vertraute finde, so Obama. Man könne sich dort klarer auf das Ziel fokussieren. Tsitsi Dangarembga habe auf ihrem Weg nie aufgegeben – deshalb sei sie heute eine der bedeutsamsten und wichtigsten Stimmen auf dem afrikanischen Kontinent "und hoffentlich bald, mit diesem Preis, weltweit." Dem Publikum empfahl Auma Obama, die ihre Rede ansonsten in deutscher Sprache hielt: "Read African books".

Ein Blick in den Mailwechsel mit der Vorsteherin

Einfach nur „Danke“: Das wolle sie der diesjährigen Friedenspreisträgerin sagen, so die Vorsteherin des Börsenvereins, Karin Schmidt-Friderichs, in ihrem Grußwort zum Auftakt der Preisverleihung. Die Autorin habe ihr mit der Romantrilogie um das Mädchen Tambudzai eine Lektüre geschenkt, die schmerzhaft gewesen sei – aber Einblick in eine ganz andere Lebenswirklichkeit gebe: „Sie, Tsitsi Dangarembga, haben es geschafft, uns eine Gesellschaft so nahe zu bringen, dass sie uns zwar nicht restlos verständlich wird, wir sie aber auf uns beziehen können, auf uns und unsere eigenen Unzulänglichkeiten.“

Unter den Mails, die sie im Vorfeld der Preisverleihung mit Tsitsi Dangarembga wechselte, habe sie ein Zitat von Mahatma Ghandi entdeckt, berichtete die Vorsteherin: First they ignore you. Then they laugh at you. Then they fight you. Then you win. „Ich wünsche Tambu, dass das für sie irgendwann in Erfüllung geht“, so Karin Schmidt-Friderichs: „Und gratuliere Ihnen, liebe Tsitsi Dangarembga – THEN YOU WIN – zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2021“.

Die Aufzeichnung der Fernsehübertragung lässt sich hier abrufen. Mehr unter www.friedenspreis-des-deutschen-buchhandels.de

 

Über Tsitsi Dangarembga

Tsitsi Dangarembga wurde am 14. Februar 1959 in Mutoko im damaligen Rhodesien (heute Simbabwe) geboren und gehört zu den wichtigsten Schriftsteller*innen, Dramatiker*innen und Filmemacher*innen ihres Landes. Sie lebt mit ihrer Familie in Harare.

An der University of Zimbabwe studierte sie in den 1980er Jahren Psychologie und schrieb ihre ersten Theaterstücke. 1988 erschien ihr Debüt-Roman „Nervous Conditions“ als erster Teil einer autobiografisch geprägten Trilogie über das Mädchen Tambudzai. 2006 wurde der zweite Teil, „The Book of Not“ veröffentlicht, 2018 folgte „This Mournable Body“.

Die drei international erfolgreichen Bücher erzählen vom Aufwachsen und Leben einer nach Selbstbestimmung strebenden Frau in Simbabwe und veranschaulichen dabei die komplexen Unterdrückungsmechanismen von Gender, Kolonialismus und Rassismus.

„Nervous Conditions“ (dt. „Aufbrechen“, 2019) wurde 1989 mit dem Commonwealth Writers’ Prize ausgezeichnet und 2018 von der BBC in die Liste der 100 wichtigsten Bücher aufgenommen, die die Welt geprägt haben. „This Mournable Body“ (Ende August 2021 unter dem Titel „Überleben“ auf Deutsch erschienen) wurde 2020 auf die Shortlist des Booker Prize gesetzt.

Mehr über die Friedenspreisträgerin, ihr Engagement und ihre Lebensstationen lesen Sie hier.

Über den Friedenspreis

Seit 1950 verleiht der Börsenverein den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, der zu den wichtigsten Kulturpreisen des Landes gehört. Die Auszeichnung ist mit 25.000 Euro dotiert.